Wie groß ist das Risiko, in Marokko, Tunesien oder Algerien zum Opfer staatlicher Verfolgung zu werden? An diesem Freitag stimmt der Bundesrat darüber ab, die drei Länder als "sichere Herkunftsstaaten" einzustufen, um Asylverfahren deutlich zu beschleunigen. Der Bundestag hat die Änderung mit den Stimmen von Union und SPD bereits gebilligt. Doch in der Länderkammer hängt das Ergebnis von den Grünen ab. Für die erforderliche Mehrheit müssten mindestens drei der zehn von ihnen mitregierten Länder die Vorlage unterstützen. Mehrere grüne Länderchefs haben dies abgelehnt. Andere sind noch unentschieden und fordern Zugeständnisse.
Caritas gegen Gesetzesvorlage
Das Asylverfahrensgesetz spricht von sicheren Herkunftsländern, wenn dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung droht. Die Gegner verweisen jedoch auf Gefahren, denen etwa regierungskritische Blogger und Journalisten, Konvertiten und Homosexuelle in den Maghreb-Staaten ausgesetzt sein sollen. Neben den Grünen haben auch Amnesty International und Pro Asyl appelliert, die Vorlage im Bundesrat abzulehnen. Auch Caritas und Diakonie wandten sich gegen das Vorhaben. Die Befürworter halten dagegen, dass im ersten Quartal 2016 nur 0,7 Prozent der Asylanträge von Nordafrikanern anerkannt wurden.
Misereor sieht Vorhaben kritisch
"Deutschland wäre das erste EU-Land, das alle drei Staaten für sicher erklärt", gibt Martin Bröckelmann-Simon, Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor in Aachen, zu bedenken. Er verweist auf Berichte von willkürlicher Folter in maghrebinischen Polizeistationen und Gefängnissen und von Haftstrafen für Menschenrechtsaktivisten, die solche Übergriffe anprangern, selbst im verhältnismäßig demokratischen Tunesien. In Marokko brächten kritische Artikel über die Monarchie oder den Islam ihre Verfasser sehr schnell hinter Gitter. "Reporter ohne Grenzen" sieht das Land bei der Pressefreiheit unter 180 Staaten gerade einmal auf Rang 131. "Insgesamt bleiben bei allen Maghreb-Staaten doch Zweifel, inwieweit sie alle Voraussetzungen als sicheres Herkunftsland erfüllen", so Bröckelmann-Simon.
Missionar sieht Menschenrechte nicht pauschal gefährdet
Doch selbst im kirchlichen Bereich gibt es auch Gegenstimmen. "Ich sehe Nordafrika nicht pauschal als Gefahrenzone für die Menschenrechte", sagt der Missionar und Islamwissenschaftler Hans Vöcking in Brüssel im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Als Angehöriger des Missionsordens der Weißen Väter hat er acht Jahre lang in Algerien gelebt. Gerade das immer wieder angeführte Risiko für Homosexuelle hält er für übertrieben. Homosexualität sei im Maghreb weit verbreitet. "Solange sie nicht demonstrativ ausgelebt wird oder in politische Forderungen mündet, bleiben Schwule und Lesben unbehelligt. Eine systematische Verfolgung gibt es nicht." Das gelte auch für Kritik an der Regierung oder den Übertritt vom Islam zum Christentum. "Die Grünen übertragen die westliche Freiheitskultur pauschal auf islamische Gesellschaften. Das ist nicht sinnvoll."
Eindruck einer Scheindebatte
Wer nachweisen kann, dass ihm in seiner Heimat Gefahr droht, soll auch nach einer positiven Entscheidung des Bundesrats Anspruch auf Asyl haben. Kritiker befürchten jedoch, dass die dann greifenden 14-tägigen Schnellverfahren kaum den nötigen Rechtsschutz garantieren werden, um sich bei den Behörden Gehör zu verschaffen. Trotzdem drängt sich der Eindruck einer Scheindebatte auf. Denn kaum jemand bezweifelt ernsthaft, dass die ganz große Mehrheit der meist jungen, männlichen Nordafrikaner aus wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit nach Europa strömt - und dies auch so bleiben wird. "Deshalb müsste vor allem die Kooperation der EU mit Nordafrika ausgebaut werden, etwa durch Ausbildungspartnerschaften", plädiert Bröckelmann-Simon.
Stattdessen tauchten abgelehnte maghrebinische Asylbewerber in die Illegalität unter oder würden von ihren Ländern nicht wieder aufgenommen. Darin sieht er auch den Grund für die überproportional hohe Kriminalitätsrate unter Nordafrikanern, Stichwort Düsseldorfer Bahnhofsviertel oder Kölner Silvesternacht. Sie dürfte letztlich den Anlass für die umstrittene Änderungsvorlage geliefert haben, rechtfertigt aber für den Misereor-Geschäftsführer "noch keine Symbolpolitik".