DOMRADIO.DE: Menschen aus unterschiedlichen Haushalten sind durch den Ukraine-Krieg aktiv geworden und haben Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen. Sind es noch viele Geflüchtete, die in den privaten Haushalten leben?
Irene Porsch (Flüchtlingsbeauftragte der Caritas im Erzbistum Köln): Ja, es sind immer noch viele. Wir gehen davon aus, dass circa zwei Drittel der Ukrainerinnen und Ukrainer, die hier aufgenommen wurden, in privaten Unterkünften sind. Wenn man bedenkt, dass über eine Million Ukrainer und Ukrainerinnen im letzten Jahr nach Deutschland geflohen sind, sind dann natürlich viele auch in privaten Unterkünften.
DOMRADIO.DE: Warum ist das so? Woran hapert es? Wieso sind die Hürden für die ukrainischen Flüchtlinge so groß, in eigene Wohnungen zu ziehen?
Porsch: Die Hürden sind genauso groß wie für andere Flüchtlinge – und für alle Menschen, die bezahlbaren Wohnraum brauchen. Wir haben einfach einen eklatanten Mangel an sozialem Wohnraum über Jahre aufgebaut. Gerade in den Metropolen fällt uns das jetzt auf die Füße. Es gibt einfach keine Alternativen.
Für das Erzbistum Köln kann man zudem sagen, dass es tatsächlich auch immer noch Gebiete gibt, wo bezahlbarer Wohnraum vor eineinhalb Jahren bei der Flut einfach weggeschwemmt wurde. Diese beiden Faktoren führen dazu, dass der Wohnraum fehlt.
DOMRADIO.DE: Wenn Wohnraumgebende und Geflüchtete immer noch zusammenleben, welches Konfliktpotenzial besteht denn da konkret? Welche Fälle sind da bekannt?
Porsch: Das ist vielfältig. Zum einen ist es einfach so, dass der Wohnraum nicht darauf ausgelegt ist, dass da zwei Familien über so einen langen Zeitraum so eng zusammenwohnen. Das sind quasi kleine Zwangs-WGs und auch teilweise noch Matratzenlager. Es geht hier zum Beispiel um fehlende Rückzugsräume. Irgendwann führt das zu Konflikten.
Da ist auf der einen Seite die Familie, die ihrer Erwerbsarbeit nachgeht, in Schule, Kindergarten und auf der anderen Seite sind da Geflüchtete, die tatsächlich noch nicht arbeiten gehen können, zwar an den Integrationskursen teilnehmen können, aber wo die Kinder auch noch nicht alle einen Kitaplatz haben. Somit verbringen die viel Zeit zu Hause, die anderen sind weg. Da kracht es wirklich schon über die Nutzung der Küche, über die Verwendung von Strom. Die steigenden Energiekosten treiben das Ganze natürlich in die Höhe.
DOMRADIO.DE: Es gibt nun sicher viele Wohnraumgebende, die sich das Zusammenleben nicht so intensiv und vor allen Dingen auch nicht von so langer Dauer vorgestellt haben. Was können Betroffene machen, damit sie wieder mehr Privatsphäre für sich haben, ohne die ukrainischen Flüchtlinge auch abzuschrecken?
Porsch: Wir haben jetzt diese "Caritas 4U"-Beratungsstellen, das sind erst mal nur vier hier im Erzbistum, aber es ist ein Anfang. Darüber hinaus gibt es weiterhin die Fachdienste für Integration und Migration der Caritas. Dahin können die sich wenden, die können nicht nur die Ukrainer und Ukrainerinnen aufsuchen, sondern auch die Gastgebenden. Gerade bei Konflikten können sie sich an diese Fachdienste wenden, sodass vermittelt und moderiert werden kann, sodass überhaupt erst mal unterschiedliche Erwartungen auf den Tisch kommen.
Gegebenenfalls begleitet die Caritas auch gerade dabei, wenn in anderen Wohnraum überführt werden muss, also wenn in eine Gemeinschaftsunterkunft ausgewichen werden muss. Es gibt auch Wohnsituationen, da geht es einfach nicht mehr. Manchmal gelingt sogar auch ein Tausch, aber das ist selten der Fall. Es ist einfach zu wenig Raum da.
DOMRADIO.DE: Das heißt, wenn vermittelt wird, dann eher in Massenunterkünfte und nicht in Wohnungen. Habe ich das richtig verstanden?
Porsch: Ja, es gibt kleine Glückstreffer in Wohnungen, aber das ist zahlenmäßig zu vernachlässigen. Es funktioniert auch manchmal über eine Moderation, dass man Regeln des Zusammenlebens ausmacht und dann doch wieder noch längere Zeit zusammenwohnen kann. Da sind die Erfahrungen sehr unterschiedlich.
DOMRADIO.DE: Wenn jetzt Wohnraumgebende eine Beratung in Anspruch nehmen möchten, wie funktioniert das?
Porsch: Sie können sich an die vier Stellen in Wuppertal, in Köln, in Euskirchen und in Bonn wenden. Sie können sich aber auch an jeden Fachdienst für Integration und Migration hier im Erzbistum wenden, am besten "Caritas" und "Fachdienst Migration" eingeben. Da findet man die Adresse, wo die nächste Stelle ist und wo man anrufen und nach einem Termin fragen kann.
Das Interview führte Tobias Fricke.