DOMRADIO.DE: Wie kann es sein, dass in Europa, in Deutschland, Menschen nicht die gleichen Chancen und gleichen Voraussetzungen haben, um zu leben und nach einer Flucht ein neues Leben aufzubauen?
Christoph Humburg (Caritasdirektor von Wuppertal und Solingen und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migration im Erzbistum Köln): Das liegt an der Massenzustromsrichtlinie, die es den Ukrainerinnen und Ukrainern ermöglicht, schnelle Hilfe zu bekommen wie Sozialleistungen oder Zugang zu Bildung. Das ist auch alles, um das ganz klar zu sagen, gut und richtig, dass man den Menschen, die in der Ukraine in massive Not kommen, hilft.
Es bedeutet allerdings für ganz viele Menschen, die aus Drittstaatländern geflüchtet sind, dass diesen die Hilfe verwehrt wird. Das heißt ganz konkret, dass sie keine Zugänge haben zu Sozialleistungen. Wir haben Menschen in unseren Diensten, die vorstellig werden, die keinen Kitaplatz bekommen, die seit Jahren warten, die keine Arbeitserlaubnis bekommen, deren Schulabschlüsse nicht anerkannt werden. Jeder kann sich vorstellen, was das für die Menschen bedeutet, die aus ihren Ländern wegen Terror und Verfolgung geflohen sind.
DOMRADIO.DE: Zwischen welchen Menschengruppen oder Menschen unterscheiden Sie denn?
Humburg: Es gibt zum Beispiel Menschen aus Syrien, Afghanistan oder afrikanischen Ländern, die diese Zugänge nicht bekommen. Der Krieg in Syrien oder die Situation in Afghanistan, ich glaube, es braucht hier nicht weiter beschrieben zu werden, welch unermessliches Leid das für die Menschen bedeutet. Diese Menschen haben in Deutschland nicht die gleichen Rechte. Das kann und darf nicht sein.
DOMRADIO.DE: Um das noch mal zu verstehen: Was hat es denn mit der schnellen Hilfe, der sogenannten Massenzustrom-Richtlinie für Geflüchtete aus der Ukraine auf sich?
Humburg: Diese Menschen in der Ukraine, die von Flucht bedroht worden sind, haben schnelle Hilfe erfahren. Das ist auch gut so. Viele sind geflohen und untergebracht worden. Millionen Menschen haben hier zumindest vorübergehend eine Heimat gefunden, manche auch dauerhaft. Das war großartig. Im Jahr 2015 hat das in Teilen funktioniert. Jetzt ist die Situation so, dass die Menschen aus der Ukraine schnelle Hilfe bekommen, aber nicht die, die aus anderen Ländern oder eben Drittstaaten kommen.
DOMRADIO.DE: Bildung, ein Arbeitsplatz, Wohnraum und Integrationskurse: Wo sehen Sie eine ernsthafte Veränderung inmitten der Krisen, in denen wir als Gesellschaft ja ohnehin zurzeit schon stecken?
Humburg: Die Veränderung liegt vor allen Dingen darin, dass viele Menschen spüren, dass es eine Ungleichbehandlung gibt. Man muss sich vorstellen: Allein in unseren Beratungsdiensten sind Menschen aus der Ukraine, denen wir schnell und unkompliziert helfen können. Dann sind Menschen aus anderen Ländern da, die ähnlich schlimme Erfahrungen gemacht, ihre Familien verloren oder ein ähnliches oder sogar brutaleres Schicksal erlebt haben, denen aber nicht so schnell geholfen wird oder gar nicht geholfen wird. Wenn man überhaupt Schmerz und Leid vergleichen kann. Diese Menschen haben vielleicht gerade mal eine Duldung. Das bringt massive soziale Verwerfungen mit sich.
Es wird deutlich, dass es hier Menschen erster, zweiter und dritter Klasse gibt. Auch bei den Geflüchteten aus der Ukraine ist es ja so, dass es Menschen aus Drittstaaten gibt, die in der Ukraine gelebt haben. Auch sie werden hier anders behandelt. Das heißt, selbst die Geflüchteten aus der Ukraine erfahren je nach Staatsangehörigkeit eine Ungleichbehandlung und das sind massive Verwerfungen.
DOMRADIO.DE: Was muss Ihrer Meinung nach passieren? Was könnte die Lösung des Problems sein?
Humburg: Es muss vor allen Dingen zunächst mal eine politische Willensbildung da sein. Das heißt, die Politik oder die politisch Verantwortlichen müssen dafür Sorge tragen, dass es Möglichkeiten gibt. Gesetzlich gibt es im Moment an bestimmten Stellen Schwierigkeiten, Menschen aus Drittstaatländern aufzunehmen oder langfristig aufzunehmen, weil man sagt, es können nicht so viele Menschen aufgenommen werden. Aber ich glaube, hier muss es erst mal eine politische Willensbildung geben, das zu verändern. Dann muss man Wege finden, die Menschen hier aufzunehmen.
Ich glaube, gerade in einem Land wie Deutschland, das ja nun zu den sehr reichen Ländern der Welt gehört, muss es möglich sein, mehr Menschen aufzunehmen, humanitäre Hilfe zu leisten und vor allen Dingen auch den Menschen aus Drittstaaten eine Unterstützung zu geben, hier eine Perspektive zu haben. Das wäre der erste entscheidende Schritt. Damit ist noch lange nicht alles gelöst, das ist völlig klar. Aber es wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung, die Ungleichbehandlung wenigstens zu versuchen, zu stoppen und da klare politische Signale zu setzen.
Das Interview führte Michelle Olion.