DOMRADIO.DE: Ist der Bahnhofsvorplatz Rothe Erde in Aachen so schlimm wie sein Ruf?
Simone Holzapfel (Leitung Don-Bosco-Haus, Caritasverband für die Regionen Aachen-Stadt und Aachen-Land e.V.): Schlimm ist ja immer sehr subjektiv. Ich finde nicht, dass es ein schlimmer Platz ist, sondern es ist eher ein Platz mit Verwahrlosungstendenzen, wo sich Menschen aufhalten, die dort ein bisschen ihren Lebensmittelpunkt haben. Diese Menschen werden aber von den meisten Leuten eher als störend empfunden, weil sie sehr viel Alkohol trinken und schon mal laut sind. Eine klassische Szenebildung gibt es an diesem Bahnhofsplatz.
DOMRADIO.DE: Was versteckt sich hinter diesem "Büdchen", das Sie da betreiben?
Holzapfel: Von Montag bis Freitag sind wir von 8 bis 16 Uhr am Platz. Das ist ein inklusives Projekt, womit wir den Menschen, die bei uns im Don-Bosco-Haus leben, eine Perspektiv bieten. Das sind Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten, die zum Teil haftentlassen sind, psychische Probleme haben, Suchtprobleme haben.
Die leben hier haben häufig die Schwierigkeit, dass sie sehr schwer auf den ersten Arbeitsmarkt vermittelbar sind. Selbst auf dem zweiten Arbeitsmarkt haben sie aufgrund ihrer vielschichtigen Krankheiten, die sie mitbringen, ganz schlechte Chancen. Insofern haben wir gedacht, wir brauchen etwas, wo die eine sinnvolle Tätigkeit haben, wo sie sich gesehen fühlen, wo sie sich wertgeschätzt fühlen, wo sie in der Gesellschaft anders wahrgenommen werden.
Da der Platz ein bisschen verwahrlost ist, hatten wir die Idee, dass es doch gut wäre, wenn wir da ein Projekt machen, was sehr hübsch aussieht, wo die Menschen zusammenkommen können, wo der sozialräumliche Gedanke gelebt wird. Insofern bieten wir jetzt da jeden Tag fairen Kaffee mit fairem Gepäck und Kaltgetränken an. Das klappt ganz wunderbar.
DOMRADIO.DE: Das Projekt richtet sich an sozial schwache Mitglieder der Gesellschaft, aber auch durchaus an normale Passanten, die einfach auf dem Weg zur Arbeit sind. Geht dieses Konzept gut auf?
Holzapfel: Das geht gut auf. Das geht sogar besser auf, als wir uns das erwünscht haben. Es gab schon eine Menge Bedenken im Vorfeld, ob das überhaupt akzeptiert wird, ob die Szene uns akzeptieren wird, ob das nicht alles irgendwie dadurch chaotischer wird und ob das nicht beschädigt wird. Es gab also ganz viele Bedenken, wie das ja so oft ist, wenn man etwas Neues einführt.
Aber das können wir alles überhaupt nicht bestätigen. Im Gegenteil. Es mischen sich die Menschen. Es gibt alte Menschen, die in der Ecke des Platzes wohnen und Passanten, die zum Zug eilen. Es ist wirklich alles dabei.
Man muss auch sagen, dass der Platz an sich jetzt viel schöner aussieht und uns auch die Menschen, die sich da täglich aufhalten, als Anlaufstelle sehen. Das geht in unseren Augen tatsächlich perfekt auf.
DOMRADIO.DE: Positive Erfahrungen haben Sie auch schon mit einem Projekt namens Querbeet gemacht. Was verbirgt sich denn dahinter?
Holzapfel: Das machen wir in Kooperation mit Querbeet. Es ist eine Ergänzung. Querbeet-Menschen sind dem Arbeitsmarkt sehr fern und haben eine Suchtproblematik. Die pflegen Beete oder bauen Beete auf, gießen die Pflanzen und kümmern sich darum. Genau das passiert an dem Platz auch.
Das heißt, wir haben da immer einen Trupp von Menschen, die den Platz sauber machen, die die Blumen wässern oder neue einpflanzen. Die Menschen tragen auch eine Weste, sind also erkennbar, dass sie auch etwas tun. Damit entsteht eine komplett andere Wirkung.
Sie werden nicht mehr so angesehen, als würden sie alle nichts tun oder würden nur rumhängen und stören, sondern die tragen mit dazu bei, dass sich das Bild ändert, dass sich etwas positiv anders darstellt. Und ich glaube, dass das letztendlich für alle gut ist.
DOMRADIO.DE: Wie zuversichtlich sind Sie angesichts der stark steigenden Lebensmittelpreise, dass Sie dieses Projekt aufrechterhalten können?
Holzapfel: Ich sehe das bei uns nicht so gefährdet, weil wir das aus eigenen Ressourcen machen. Wir betreiben keinen großen Personalaufwand. Wir machen die Anleitung über unsere Sozialarbeitenden, die im Don-Bosco-Haus und bei Querbeet arbeiten.
Das ist zusätzlich eine geförderte Maßnahme vom Jobcenter. Das heißt, wir müssen nicht so viel Gewinn machen. Wir brauchen uns nur selber tragen. Wir werden da mit Sicherheit nicht reich werden. Das ist auch nicht die Idee, sondern es muss sich tatsächlich nur tragen. Mehr muss nicht passieren.
Die Menschen sind schon bereit, weiterhin für Kaffee Geld auszugeben. Vielleicht wird es kommen, dass weniger Kaffee getrunken wird. Momentan nehmen wir das so nicht wahr.
Das Interview führte Oliver Kelch.