Der Deutsche Caritasverband hat an seinem Gründungsort Köln sein 125-jähriges Bestehen gefeiert. Am 9. November 1897 sei die "Zeit reif"» gewesen für die Gründung des Verbandes, sagte Caritaspräsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa bei dem Festakt am Dienstag. Die "Liebestätigkeit" sei angesichts der Not vieler Menschen durch die Industrialisierung nötig geworden. "Caritas" bedeutet aus dem Lateinischen übersetzt "Nächstenliebe".
An diesem 9. November dürfe das freudige Erinnern jedoch nicht das Erinnern an die Schrecken und Gräuel des Nationalsozialismus überdecken, so Welskop-Deffaa. Der Festakt solle "mit Respekt und im Andenken" an die Opfer und im Gedenken an diejenigen, die heute unter Krieg und Katastrophen litten, begangen werden. In Köln waren neben dem bei der Deutschen Bischofskonferenz für karitative Fragen zuständigen Freiburger Erzbischof Stephan Burger und dem nordrhein-westfälischen Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) auch Vertreter der ukrainischen Caritas zugegen.
Sonderbriefmarke der Deutschen Post
Zum Jubiläum wurde auch eine Sonderbriefmarke der Deutschen Post vorgestellt. "Briefmarken sind kleine, aber wirkungsvolle Kulturbotschafter", sagte Marianne Kothe vom Bundesfinanzministerium. Die Arbeit der Caritas stehe für den Zusammenhalt in der Gesellschaft. Insgesamt seien 3,1 Million Sonderbriefmarken im Wert von 85 Cent gedruckt worden, dem aktuellen Porto für Standardbriefe.
Das 125-Jahr-Jubiläum des Deutschen Caritasverbandes fällt in Krisenzeiten. Zunächst verhinderte Corona größere Feiern, jetzt werfen die sozialen Verwerfungen durch Inflation und Energiekrise einen Schatten auf die Festveranstaltungen, die das Jubiläum beschließen. "Kaum jemand von uns hat zu seinen Lebzeiten ein solches Aufeinandertreffen von sich gegenseitig verstärkenden Krisen erlebt", sagt Caritaspräsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa. Sie ist zugleich überzeugt: Um die Auswirkungen dieser Krisen sozial abzufedern, braucht es die politische Stimme der Caritas - genauso wie die konkreten Hilfsangebote des größten deutschen Wohlfahrtsverbands.
Die Signale sind eindeutig: Schuldnerberatungen oder Tafeln berichten bundesweit von dramatisch gestiegener Nachfrage - vielerorts können nicht mehr alle Interessenten Hilfe erhalten. Hinzu kommt eine angespannte Flüchtlingssituation. Die Angst vor Armut könnte in der Breite der Gesellschaft ankommen. Laut Statistischem Bundesamt lebt inzwischen jeder Dritte am Rand seiner finanziellen Reserven und kann sich nicht mehr plötzlich nötige Ausgaben von mehr als 1.000 Euro leisten. Auto oder Waschmaschine dürfen also nicht kaputt gehen.
"Enormer sozialer Sprengstoff"
"Die Inflation birgt enormen sozialen Sprengstoff. Wir müssen aufpassen, dass nicht alles auseinanderdriftet", sagt Welskop-Deffaa. Sie wurde zuletzt in die Kommission Gas und Wärme der Bundesregierung berufen, die hier gegensteuern will. Durch Gaspreisdeckel und schnelle Wohngeldreform etwa.
Zum Jubiläum verweist die Caritas stolz auf die Vielfalt ihrer Einrichtungen und Angebote. Eine Internetseite präsentiert "125 Lösungen für eine bessere Welt". In Mannheim öffnete vor kurzem das erste Tageshospiz in Baden-Württemberg. Es begleitet unheilbar Erkrankte, die in ihrer Umgebung bleiben möchten. In Hannover unterstützen Haupt- und Ehrenamtliche Sinti und Roma bei der Berufsqualifizierung. In Dresden hat die Caritas ein Jugendhilfezentrum mit Wohnbereich für teils minderjährige Alleinerziehende. In Garmisch-Patenkirchen helfen Frauen beim Projekt "Leih-Omas" überlasteten Familien.
Vernetzung und Austausch
Es gibt kaum einen Bereich des Sozialstaats, in dem die Caritas nicht aktiv ist. In Köln unterstützt das Zentrum für alleinerziehende Eltern die besonders von Armut gefährdete Zielgruppe. In Hamburg entstand eine queere Familienhilfe. In Magdeburg bietet Caritas eine HIV/Aids-Anlaufstelle, in Berlin Räume als Erholungsort für kranke Wohnungslose.
Für Vernetzung und Austausch steht der das Jubiläumsjahr abschließende Caritaskongress Ende Januar in Berlin. Online und in Präsenz vor Ort. Mitfeiern wollen Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und der Bischofskonferenz-Vorsitzende Georg Bätzing.
Einladung nach Köln
Am Gründungstag, dem mit den Pogromen gegen die jüdische Bevölkerung 1938 und dem Mauerfall 1989 so ambivalenten 9. November, lädt die Caritas nach Köln ein. Dort gelang es 1897 dem Freiburger Priester Lorenz Werthmann, die bis dato nebeneinander arbeitenden katholischen Sozialwerke unter einem Dach zu bündeln.
Eine aufwendig gestaltete Internetseite erinnert zum Jubiläum auch an schwierige Zeiten des Verbands, etwa in NS-Zeit und in der DDR. Dabei kommt die Historikerin Petra Zeil zu dem Ergebnis, dass Caritaspräsident Benedict Kreutz zwar zunächst auf Anknüpfungspunkte mit den nationalsozialistischen Machthabern hoffte, dann aber schnell zu einem Gegner des Unrechtsregime geworden sei. Allerdings liegt bislang keine breite historische Studie zur Geschichte der Caritas in der NS-Zeit vor.
Größter Wohlfahrtsverband Europas
Und auch an den im Verband hoch verehrten Caritasgründer Werthmann gibt es inzwischen kritische Anfragen. So soll er Kolonialismus befürwortet haben, wie der Freiburger Historiker Heiko Wegmann sagt.
Heute ist der Caritasverband mit fast 700.000 Mitarbeitenden sowie hunderttausenden Ehrenamtlichen der größte Wohlfahrtsverband Europas. Rund 8.000 rechtlich eigenständige Träger unterhalten bundesweit mehr als 24.000 Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Altenpflegeheime, ambulante Pflegedienste oder Beratungsstellen. International viel beachtet ist das humanitäre und entwicklungspolitische Engagement von Caritas international.