Caritas-Flüchtlingsbeauftragte kritisiert Asyl-Diskussion zu Syrien

Willkommenskultur unter Druck

Assad ist gestürzt, doch die Zukunft Syriens ist ungewiss. Eine Rückkehr sei für Geflüchtete im Moment keine Option, betont Irene Porsch im Interview. Der Rechtsstaat, Menschenwürde und die deutsche Wirtschaft stünden auf dem Spiel.

Deutschlandweit feiern Exil-Syrer den Sturz des Assad-Regime, wie hier in Mainz. / © Andreas Arnold/dpa  (dpa)
Deutschlandweit feiern Exil-Syrer den Sturz des Assad-Regime, wie hier in Mainz. / © Andreas Arnold/dpa ( dpa )

DOMRADIO.DE: Bashar al-Assad, der langjährige syrische Machthaber, ist gestürzt und hat sich nach Russland abgesetzt. Jetzt könnten Menschen, die vor ihm aus Syrien geflohen waren, doch sofort zurück in ihre Heimat gehen. Was ist falsch an dieser Vorstellung? 

Irene Porsch, Flüchtlingsbeauftragte des Diözesan-Caritasverbands für das Erzbistum Köln / © Diözesan-Caritasverband Köln (DiCV)
Irene Porsch, Flüchtlingsbeauftragte des Diözesan-Caritasverbands für das Erzbistum Köln / © Diözesan-Caritasverband Köln ( DiCV )

Irene Porsch (Flüchtlingsbeauftragte der Caritas im Erzbistum Köln): Das Assad-Regime, die Familie Assad, ist seit 1971 an der Macht. Sie haben eine verdammt lange Zeit ein Unrechtsregime geführt. Es finden noch Kämpfe im Norden, Osten und Süden Syriens statt. Es ist gerade erst dazu gekommen, dass dieser unrechtmäßige Machthaber gestürzt worden ist. 

Es werden weiterhin Menschen aus den Foltergefängnissen entlassen, es werden Kinder aus den Foltergefängnissen gezogen. Es gibt eine enorme Wirtschaftskrise in dem Land, die sicherlich ein riesiger Erfolgsfaktor für das Bündnis war, das Assad gestürzt hat. Da das Land am Boden liegt, hat sich selbst das Militär nicht mehr wehren wollte. 

In so einer Situation sollen wir Menschen in ein Land zurückschicken, das seit zwölf Jahren Bürgerkrieg führt? 

Das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht. Es hat Verfassungsrang und es dient im Kern zum Schutz der Menschenwürde. Wir würden die Menschen in ein Land schicken, wo ihre Menschenwürde nicht gesichert ist. Es ist schließlich noch nicht klar, was kommt und wie es kommt. 

Irene Porsch

"Diese Weihnachten die Menschen dorthin zurückschicken, ist blasphemisch. Das ist ganz schlechter Wahlkampf."

DOMRADIO.DE: Mit einem Handgeld von 1.000 Euro und einem Freiflug nach Syrien will CDU-Mann Jens Spahn Geflüchteten aus Syrien die Rückkehr in ihr Herkunftsland schmackhaft machen. Für den Vorschlag hat er viel Kritik geerntet. Was sagen Sie dazu? 

Porsch: Die CDU hat sich an verschiedenen Stellen schon geäußert, dass ihnen wichtig ist, dass unsere Wirtschaft vorankommt. Wenn wir alle Syrerinnen und Syrer ins Flugzeug setzen und zurückschicken, dann schaden wir unsere Wirtschaft massiv. 

Das eine ist, dass 70 Prozent der Syrerinnen und Syrer in Deutschland Arbeit haben. Das ist eine Erwerbstätigenquote, wie sie der deutschen Bevölkerung entspricht. Der Vorschlag beträfe über 7.000 Ärztinnen und Ärzte, bei denen Jens Spahn sehr gut weiß, was für ein Mangel in dem Beruf herrscht. Die würden zurückgeschickt werden. 

Das andere ist, dass wir Menschen zumuten, in Zustände zurückfliegen zu müssen, wo ihre Grundrechte nicht gewahrt werden. Wir wissen vieles noch gar nicht. Das ist ein Bündnis, das im Moment sehr fragil besteht. 

Der Anführer dieses Bündnisses kommt aus einer Richtung, von der wir nicht wissen, welche Rechte Frauen zugesprochen werden und wann es gelingt, eine Demokratie aufzubauen – wenn das überhaupt von Interesse ist. Diese Weihnachten die Menschen dorthin zurückschicken, ist blasphemisch. Das ist ganz schlechter Wahlkampf. 

Der neue starke Mann Syriens: Abu Mohammed al-Dschulani spricht in der Umayyaden-Moschee in Damaskus. / © Omar Albam/AP (dpa)
Der neue starke Mann Syriens: Abu Mohammed al-Dschulani spricht in der Umayyaden-Moschee in Damaskus. / © Omar Albam/AP ( dpa )

DOMRADIO.DE: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat Asylentscheide für Syrerinnen und Syrer sofort auf Eis gelegt. Was zeigt das? 

Porsch: Das zeigt, dass wir uns in der Migrationspolitik seit Monaten von AfD, CDU und anderen menschenfeindlichen Positionen voran treiben lassen. Das ist nicht schön. Es verunsichert ganz viele Syrerinnen und Syrer, weil sie kein sicheres Herkunftsland haben. Sie können nicht einfach zurückkehren. 

Da ist nach zwölf Jahren Bürgerkrieg der Machthaber gestürzt. Und bei denjenigen, die die Macht übernommen haben, muss sich noch zeigen, was damit wird. Damit hat sich bei den Syrern das Grundrecht auf Asyl nicht verändert. Deswegen ist es eine Farce, diese Verfahren alle auszusetzen. 

DOMRADIO.DE: "Wir können die Menschen aus Syrien gar nicht schnell genug loswerden." Das ist die Botschaft hinter solchen Vorstößen. Was sagt das über den Zustand unserer Willkommenskultur in Deutschland aus? 

Porsch: Es zeigt, dass wir schon eine ganze Weile zulassen, dass auf Kosten einer sehr wehrlosen Bevölkerungsgruppe Unsicherheiten und Planlosigkeit ausbadet werden. Es wird alles auf das Thema Migration geschoben, aber wir haben ganz andere Herausforderungen. 

Irene Porsch

"Es gibt Geflüchtete, deren Angehörige aus den Gefängnissen kommen und die das erste Mal seit Jahren oder Jahrzehnten Kontakt miteinander haben."

Es zeigt aber auch, und das sage ich gerade als Flüchtlingsbeauftragte, als Vertreterin der Aktion "Neue Nachbarn" im Erzbistum Köln, dass wir eigentlich immer noch ganz viele Menschen haben, die sich für eine Willkommenskultur stark machen. 

Im Januar und Februar waren massig Menschen auf der Straße. Die Mehrheit wählt keine AfD. Ich hoffe, dass es uns in den nächsten Monaten gelingt, diesen Botschaften gute und andere Botschaften entgegensetzen zu können. 

DOMRADIO.DE: Sie haben mit Geflüchteten aus Syrien zu tun. Was ist Ihr Eindruck? Wie geht es den Menschen in diesem Moment? Und was macht diese neu entflammte deutsche Asyldiskussion mit ihnen? 

Porsch: Viele Menschen freuen sich erstmal, dass Assad weg ist. Da ist ganz viel Unrecht geschehen und ganz viel Leid innerhalb von Familien gestiftet worden. 

Es gibt Geflüchtete, deren Angehörige aus den Gefängnissen kommen, die das erste Mal seit Jahren oder Jahrzehnten Kontakt miteinander haben. Daher verunsichert es Menschen, denn sie haben sich hier eine neue Existenz aufgebaut. 

Nach dem Sturz von Assad: Ein bewaffneter Oppositionskämpfer läuft zwischen den Kunden auf dem Al-Hamidiyeh-Markt innerhalb der alten Stadtmauern von Damaskus hindurch. / © Hussein Malla/AP/dpa (dpa)
Nach dem Sturz von Assad: Ein bewaffneter Oppositionskämpfer läuft zwischen den Kunden auf dem Al-Hamidiyeh-Markt innerhalb der alten Stadtmauern von Damaskus hindurch. / © Hussein Malla/AP/dpa ( dpa )

Aber es gibt viele, die relativ gut damit umgehen und einfach sagen, dass sie abwarten. Wir feiern an Weihnachten, dass Assad gestürzt ist und wir beten auf unterschiedliche Art und Weise dafür, dass es in Syrien gelingt, zu Frieden zu kommen und einen neuen Staat aufzubauen, der demokratisch ist. 

DOMRADIO.DE: Wie sollten sich deutsche Behörden wie der deutsche Staat jetzt gegenüber den Menschen aus Syrien verhalten, die bei uns Schutz gesucht haben? 

Porsch: Er sollte den Menschen Zeit geben, dass sie sich freuen können, dass Assad weg ist und dass sie, wie am Wochenende in Essen geschehen, feiern können. Der deutsche Staat sollte Projekte in Syrien und in den Anrainerstaaten unterstützen, die einen Demokratieaufbau fördern. 

Er sollte sich weiterhin darüber freuen, dass so viele Menschen hier in Deutschland eine neue Heimat gefunden haben und sozialversicherungspflichtig arbeiten - für eine Wirtschaft, die jede einzelne Arbeitsstelle gut gebrauchen kann. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Christen in Syrien

Syrien gilt als Wiege des Christentums. Vor dem 2011 ausgebrochenen Bürgerkrieg waren laut Daten der Linzer "Initiative Christlicher Orient" etwa 7 Prozent der damals 21 Millionen Syrer christlich. Aktuelle Zahlen sind schwer zu ermitteln, auch weil mindestens 5,5 Millionen Syrerinnen und Syrer aus dem Land geflohen sind. Nach verschiedenen Schätzungen soll es noch maximal 500.000 Christen in Syrien geben. Rund drei Viertel der Syrer sind sunnitische Muslime, etwa 12 Prozent gehörten vor dem Krieg der Sekte der Alawiten an, darunter auch der nun gestürzte Assad-Clan. 

Außenansicht der Kirche Sankt Georg in Izra (Syrien) / © Karin Leukefeld (KNA)
Außenansicht der Kirche Sankt Georg in Izra (Syrien) / © Karin Leukefeld ( KNA )
Quelle:
DR