DOMRADIO.DE: Ein Islamist, der nun die Geschicke Syriens in der Hand hält und sich gemäßigt gibt. Was überwiegt bei Ihnen: Skepsis oder Hoffnung?
Frank Schwabe (MdB, SPD-Politiker, Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit): Das kann man schwer sagen. Es ist ein 50:50-Gefühl. Einerseits ist es gut, dass Assad weg ist, wenn man bedenkt, welche Gräueltaten er zu verantworten hat. Allein die Bilder und Berichte aus den Foltergefängnissen, die wir kennen, sind schrecklich. Daher ist es eine Erleichterung, dass dieses Terrorregime ein Ende gefunden hat.
Andererseits bleibt die Sorge, was die neuen Machthaber nun tun werden und wie das die Menschen im Land betrifft. Wer mit Minderheiten in Syrien spricht, spürt diese Skepsis, aber auch ein wenig Hoffnung, dass vielleicht der schlimmste Fall ausbleibt.
DOMRADIO.DE: Werfen wir einen Blick zurück. Der gestürzte Machthaber Baschar al-Assad übernahm vor 18 Jahren die Macht von seinem Vater. Damals hofften viele auf eine Verbesserung der Lage, doch spätestens nach den Aufständen des Arabischen Frühlings 2011 war davon keine Rede mehr. Wie hat sich die Situation der Christen in Syrien seither verändert?
Schwabe: Die Lage für die Christen hat sich deutlich verschlechtert, wie in der gesamten Region des Nahen Ostens. Wir erleben einen regelrechten Exodus. Es ist bedrückend zu sehen, dass eine über 2000 Jahre alte christliche Präsenz in der Region auf ein Minimum geschrumpft ist. In Syrien lebten einst anderthalb Millionen Christen, heute sind es nur noch ein paar Hunderttausend. Proportional gesehen ist das die Gruppe, die am stärksten gelitten hat – und die auch jetzt wieder mit großer Sorge in die Zukunft blickt.
DOMRADIO.DE: In Syrien leben neben Christen auch Drusen, Jesiden und weitere religiöse Minderheiten. Werden deren Rechte in einer künftigen Regierung gewahrt bleiben?
Schwabe: Das ist unklar. Besonders betroffen sind die Alawiten, zu denen Assad selbst gehört. Es muss jetzt die internationale Anforderung sein, dass die neuen Herrscher religiöse Vielfalt respektieren. Es gibt Überlegungen, diese Führer von internationalen Terrorlisten zu streichen, um den Wiederaufbau Syriens zu ermöglichen. Die Hoffnung ist, dass sie daran interessiert sind, internationale Unterstützung zu gewinnen und sich deshalb an gewisse Bedingungen halten.
Ein Vergleich zu Afghanistan zeigt jedoch, wie brüchig solche Versprechen sein können. Dort hatten die Taliban anfangs ähnliche Zusicherungen gemacht, die dann gebrochen wurden. Wir haben uns unter Assad mit jeglicher Finanzierung zurückgehalten. Die Bedingung muss sein, religiöse Vielfalt möglich zu machen. Am Ende geht es auch um die Kurden, die in einer Art Autonomieregion im Nordosten Syriens leben und dort im Grunde unangetastet bleiben wollen.
DOMRADIO.DE: Bundeskanzler Olaf Scholz hat betont, wie wichtig die Wahrung aller Religionen in Syrien ist. Was kann die deutsche Außenpolitik konkret tun, um die Rechte religiöser Minderheiten zu schützen?
Schwabe: Bisher war die deutsche Haltung sehr zurückhaltend. Selbst auf Bitten christlicher Gemeinden in Syrien haben wir weder Hilfsgüter geliefert noch Wiederaufbauprojekte oder Entwicklungszusammenarbeit unterstützt. Das war hart.
Es gab lediglich inoffiziell im Nordosten Syriens gewisse Maßnahmen. Sollte die neue Führung in Syrien eine positive Entwicklung zeigen, könnten wir unser Engagement ausbauen. Das bedeutet, Hilfe und Wiederaufbau an klare Bedingungen zu knüpfen. Ich denke, so würde auch der Bundeskanzler sein Angebot verstehen.
Das Interview führte Tobias Fricke.