Einsame Traumstrände, Cocktails und Zigarren, Retro-Oldtimer und die Pracht-Kolonialbauten von Havanna: Wer Kuba hört, denkt an ein Traumurlaubsziel. Vielleicht auch an einen menschenfreundlichen Sozialismus mit vorbildlichem Bildungs- und Gesundheitswesen.
Humanitäre Notlage
Doch die seit Jahren in Kuba engagierte Hilfsorganisation Caritas international macht jetzt auf eine große humanitäre Notlage aufmerksam. "Die Menschen leiden unter einer dramatischen Abwärtsspirale. Das sozialistische Versprechen von Ernährung, Gesundheit und Bildung wird nicht mehr eingelöst. Kuba befindet sich im freien Fall, ohne dass das international wirklich wahrgenommen wird", fasst Oliver Müller zusammen.
Es gebe kaum Benzin und Diesel, die Apotheken seien leer, Lebensmittel für viele Kubaner unbezahlbar geworden, berichtet der Chef von Caritas international. "Selbst die Versorgung über die staatlichen Lebensmittelrationen funktioniert nicht mehr. Menschen stehen stundenlang an und erhalten dann nur drei Kilo Reis für einen ganzen Monat."
Caritas hilft vor Ort
Müller war gerade für die Planung von weiteren Hilfsprojekten in Kuba. Die kubanische Caritas organisiert - auch mit deutschen Spendengeldern finanziert – beispielsweise Hilfen für Senioren und Menschen für Behinderte. Auch die Not- und Wiederaufbauhilfen nach dem jüngsten Hurrikan im Westen der Insel vor einem Jahr laufen weiter.
Die Ursachen für die humanitäre Notlage sind laut Caritas vielschichtig. Der sozialistische Bruderstaat Venezuela hat die Treibstofflieferungen drastisch gekürzt, was nicht nur den Individualverkehr zum Erliegen gebracht hat, sondern auch die Landwirtschaft. Landmaschinen stehen still. Stattdessen versuchen die Bauern, mit Ochsengespannen die Felder zu bestellen. "2023 war ein Jahr mit sehr geringen landwirtschaftlichen Erträgen, was die Nahrungssituation weiter verschlechtert."
Auch eine staatliche Finanzreform scheiterte. Das sozialistische Regime unterdrückt aufkommende Proteste und Rufe nach mehr Freiheit vehement. "Manchmal hält sich bei Kuba das Bild eines freundlichen, karibischen Sozialismus. Doch wer in Konflikt mit dem Regime gerät, muss die gnadenlose Härte und Unterdrückung des Systems spüren", sagt Müller. Beispielsweise seien bei Protesten vor zwei Jahren hunderte Menschen zu jahrelanger Haft verurteilt worden. Jetzt herrsche Angst, für Veränderung zu kämpfen.
Müller kritisiert US-Embargo
Müller kritisiert zugleich das seit Jahrzehnten bestehende US-Embargo gegen Kuba. "Das politische Ziel, die sozialistische Regime zu stürzen, ist offenkundig verfehlt. Es wäre daher eigentlich ein Gebot der Humanität und auch der politischen Klugheit, Sanktionen zu lockern." Doch entsprechende Signale gibt es offenbar nicht.
Auch beim Tourismus - nach den Rücküberweisungen von Exilkubanern die bislang zweitwichtigste Einnahmequelle – zeichnen sich Einbrüche ab. Vor Corona kamen jährlich vier Millionen Urlauber, in diesem Jahr dürften es rund 1,4 Million sein.
Und noch eine Entwicklung beschleunigt die Krise: die massenhafte Flucht von vor allem jungen Kubanerinnen und Kubanern. Die Ausreise ist über das mittelamerikanische Nicaragua visumsfrei möglich. "In den vergangenen beiden Jahren sind geschätzte 500.000 Kubaner geflohen - bei einer Gesamtbevölkerung von etwa elf Millionen."