DOMRADIO.DE: "Da kann ja jeder kommen: Caritas öffnet Türen": Das ist Motto der diesjährigen Kampagne der Caritas. Worum geht es Ihnen dabei?

Dr. Frank Johannes Hensel (Diözesan-Caritasdirektor im Erzbistum Köln): Das klingt natürlich in diesen Zeiten merkwürdig, weil alle über Migration und Abschottung sprechen. Aber uns geht es darum, dass jeder zu uns kommen kann: Wir sind für alle offen, egal wo sie herkommen. Wir stellen auch keine Schuldfragen. Bei uns ist jeder willkommen und es geht nur um die Not und den Unterstützungsbedarf. Das wollen wir überall in Deutschland deutlich machen, dass das überragend ist.
DOMRADIO.DE: Aber ist das Motto auch ein politisches Statement in der aktuellen Migrationsdebatte?
Hensel: Unser Motto kann und darf auch so verstanden werden. Wir als Caritas sind offen und mutig, was das Zusammenleben mit Fremdheit oder Anderssein angeht. Aber wir meinen tatsächlich mit unserer Kampagne, dass sich unsere Dienste an den Bedarfen der Menschen orientieren und wir sie nicht kategorisieren, ob sie zu unserer Klientel gehören oder ob sie uns gewählt haben oder wählen würden oder so etwas. Das ist das Wichtige, das wollen wir signalisieren. Und das hält eine Gesellschaft zusammen, das schafft auch sozialen Frieden und der ist sehr wichtig.
DOMRADIO.DE: Sie haben für die Vorstellung Ihrer Kampagne ein Caritas-Sozialkaufhaus in Gummersbach im Oberbergischen Land gewählt, warum?

Hensel: Weil hier eine Tür zuzufallen droht. In diesem Sozialkaufhaus gibt es Arbeitsgelegenheiten für Langzeitarbeitslose, hier wird viel recycelt und für neue Nutzerinnen und Nutzer wieder aufbereitet. Diese Arbeitsgelegenheiten wurden lange Zeit vom Jobcenter gefördert, aber das Jobcenter hat diese Hilfen jetzt auf Null gekürzt.
DOMRADIO.DE: Jetzt stehen dort aufgrund der Kürzungen in der Arbeitsmarktförderung durch Bund und Land die Jobs von 39 Frauen und Männern auf dem Spiel. Warum ist diese Förderung wichtig?
Hensel: Wir betreuen hier in besonderer Weise Menschen, die seit langem arbeitslos sind und führen sie über diese Tätigkeiten in den Arbeitsmarkt zurück. Wir ermutigen sie, wir begleiten und qualifizieren sie, sodass sie auch wieder in den ersten Arbeitsmarkt zurückfinden können. Das geht nicht einfach nur durch eine Jobvermittlung.
Dazu braucht es auch eine Phase, wieder hineinzufinden und das machen wir hier. Das ist gelebte Nächstenliebe, was wir hier machen. Aber dazu brauchen wir die finanziellen Mittel. Wir haben die Leute, wir haben die Überzeugten, die, die es können und wollen, aber wir brauchen die Mittel dazu. Alleine hier fehlen 200.000 Euro, die das Jobcenter nicht mehr für uns bereitstellt.
DOMRADIO.DE: Vor allem von Union und FDP wurde immer wieder kritisiert, dass es sich in Deutschland eher lohne, arbeitslos zu sein, als einen Job im Niedriglohnsektor anzunehmen. Von "Totalverweigerern" ist in der politischen Debatte die Rede, die keinen Job annehmen wollen. Wie groß ist dieses Problem?
Hensel: Die, die sich als wirtschaftsnahe Kräfte verstehen, sollten mal überlegen, für wen sie Politik machen. Wenn man zum Beispiel einen Betrieb führt: Macht man die ganze Geschäftspolitik für einige wenige, die nicht so recht mitkommen oder macht man sie für die vielen, die mitziehen und guten Willens sind?
So ist es auch bei den Langzeitarbeitslosen: Wir haben eine hohe Rate von Menschen, die wirklich ihre Chance nutzen wollen, die einen zweiten und dritten Anlauf brauchen. Ihnen das zu verwehren oder ihnen das Gefühl zu geben, dass sie das irgendwie schuld sind, dass sie nicht mehr richtig mitziehen können, ist nicht nur falsch, es ist auch menschenunfreundlich und wir sind klar dagegen.
Denen, die mal gestrauchelt sind, eine Chance zu bieten, ist auch ein Standortvorteil, denn das kann jedem von uns passieren. Und wir machen deutlich: Wir sind für die da, die mal neben die Spur geraten sind und geben sie nicht auf. Wir diffamieren sie nicht, sondern wir setzen uns für sie ein.
DOMRADIO.DE: Wir sind in Zeiten des Wahlkampfes, die gesellschaftliche Stimmung im Land ist polarisiert. Was ist Ihr Appell an Politik und Gesellschaft?
Hensel: Für mich ist sehr wichtig, dass die demokratischen Kräfte sich nicht spalten lassen. Im Bundestag haben wir gerade einen Vorgeschmack davon bekommen. Wenn man das nicht genug beachtet, dann ergeben sich sehr unheilige Allianzen. Ich hoffe sehr, dass es zur Besinnung und zu Besonnenheit kommt, damit wir vernünftig und stabil Lösungen suchen für die Probleme, die wir haben und dazu zählt auch, den Minderheitenschutz und den Einsatz für diejenigen, die aus dem System gefallen sind, nicht zu schleifen.
Das Interview führte Alexander Foxius.