Caritas kritisiert SPD-Idee zur Abschaffung von Paragraf 218

"Dahin können wir in Deutschland wirklich nicht zurückwollen"

Die SPD strebt eine alternative Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuchs an. Die Caritas-Chefin Eva Maria Welskop-Deffaa widerspricht und kritisiert den Vorschlag, die Beratungspflicht abzuschaffen.

Symbolbild Frau mit einem Schwangerschaftstest / © Dean Drobot (shutterstock)
Symbolbild Frau mit einem Schwangerschaftstest / © Dean Drobot ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Die SPD-Bundestagsfraktion plant, den Abtreibungsparagrafen 218 abzuschaffen. Die Rechtswidrigkeit von Abtreibungen wirke stigmatisierend auf die Frau und Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibung vornehmen, sowie auf die Beratungsstellen, sagt die SPD, denn so steht es in einer Vorlage. Hat die SPD-Fraktion da nicht recht?

Eva-Maria Welskop-Deffaa / © Gordon Welters (KNA)
Eva-Maria Welskop-Deffaa / © Gordon Welters ( KNA )

Eva Maria Welskop-Deffaa (Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes): Was die SPD mit dieser Vokabel "Stigmatisierung" wirklich meint, bleibt mir persönlich unklar. Ich glaube aber, dass wir uns daran auch nicht zu lange aufzuhalten brauchen, weil die konkreten Regelungsvorschläge der SPD eigentlich das sind, was uns Sorgen macht. Die SPD möchte ja insbesondere die Beratungspflicht abschaffen. An dieser Stelle haben wir nun wirklich einen tiefgreifenden Dissens. 

Die SPD erkennt zwar an, dass eine ungewollte Schwangerschaft ein großer Stressfaktor sein kann. Aber besonders Frauen in einer Ehekrise oder mit einem gewalttätigen Partner sind betroffen. Auch Frauen mit ernsthaften ökonomischen Ängsten und Problemen sind stark belastet.

Diese Frauen verlieren oft die Orientierung, wenn sie eine ungewollte Schwangerschaft feststellen und nehmen die ausgestreckte Hand gar nicht an. Deshalb ist die Beratungspflicht so wichtig, denn sie eröffnet den Zugang zu einer Beratung, die ohne diese Pflicht als unnötige Belastung erscheinen würde. Man hat gar nicht die innere Freiheit zu erkennen, dass einem die Beratung helfen würde. Das zeigen die Umfragen, die Donum Vitae (Schwangerschaftsberatungsstelle, Anm. d. Red.) im letzten Jahr durchgeführt hat.

Eva Maria Welkopp-Deffaa

"Warum, liebe SPD, wollt ihr diese Beratungspflicht zur Disposition stellen?"

Weit über 80 Prozent, je nachdem, wie die Fragestellung ist, sogar über 90 Prozent der Frauen sagen, die Beratung habe ihnen unglaublich geholfen. Aber zugleich sagt etwa die Hälfte der Frauen, sie wären in die Beratungsstellen nicht reingegangen, wenn es die Pflicht nicht gegeben hätte. Das ist für mich im Augenblick der größte Dissens mit der SPD: Warum, liebe SPD, wollt ihr diese Beratungspflicht zur Disposition stellen? 

DOMRADIO.DE: Die SPD sagt auch, es soll einen Rechtsanspruch auf Beratung geben. Nur die Pflicht soll abgeschafft werden. Stärkt die SPD oder der Vorschlag nicht die Rechte der Frau, das heißt ihre Entscheidungsmündigkeit in dieser für sie schweren Situation? Denn da will man ja nicht unbedingt in die Pflicht genommen werden. 

Welskop-Deffaa: Ja, das scheint auf den ersten Blick so zu sein. Deswegen habe ich die Zahlen von Donum Vitae noch mal zitiert. Für jemanden, der sich in einer ganz ruhigen und entspannten Lebenssituation befindet, ist das Beratungsangebot natürlich ein wunderbares Geschenk. Wenn ich aber das Wasser bis zum Hals stehen habe und keinen Ausweg mehr sehe, ist die verpflichtende Beratung eine Hilfe. In der Beratung kann ich dann nochmal genau nach rechts und links schauen, was ohne die Beratung nicht möglich wäre.

Schwangerenberatungsstelle von Donum Vitae  / © Harald Oppitz (KNA)
Schwangerenberatungsstelle von Donum Vitae / © Harald Oppitz ( KNA )

Wir haben hier mit diesem Instrument der Pflicht eine Chance, gerade für Frauen in vulnerablen Lebenssituationen, die Hilfe zu bekommen, die sie ohne die Pflicht schlicht verpassen würden. 

DOMRADIO.DE: Das andere ist die Rechtswidrigkeit ohne Bestrafung. Ist es nicht dann doch sinnvoll, diese bisherige Regelung mit der Rechtswidrigkeit ohne Bestrafung neu zu überdenken? 

Welskop-Deffaa: Diese Balance, die man im geltenden Recht gefunden hat, nämlich dass man anhand der Formulierung "rechtswidrig aber straffrei" der besonderen Situation in einer Schwangerschaft Rechnung getragen hat, sollte man erhalten. So sehen wir es als Caritas. Es unterscheidet sich die Beziehung zwischen der Mutter und dem Kind in der Schwangerschaft von allem anderen, was man sonst an Fürsorgebeziehung kennt. Deswegen verdient diese Situation eine besondere Regelung. 

Im Kern möchte die SPD im Strafrecht die Bestrafung von Ärzten weiterhin regeln, aber nur für die Fälle, dass gegen den Willen der Frau die Abtreibung vorgenommen wird. Und wenn eine Abtreibung zu einem Zeitpunkt vorgenommen wird, zu dem das Kind bereits außerhalb des Mutterleibes überlebensfähig wäre. 

Eva Maria Welkopp-Deffaa

"Das scheint uns wirklich eine unplausible Regelung zu sein."

Für die Frage der Überprüfung, ob die Entscheidung für die Abtreibung bei der Frau freiwillig ist, hat der Beratungsschein eine ganz wichtige Indizfunktion. 

Bei dem anderen Punkt, ob man wirklich die strafrechtliche Regelung an die Überlebensfähigkeit des Kindes außerhalb des Mutterleibes anknüpfen will, haben wir wenig Verständnis für den Vorschlag der SPD. Denn es kann doch eigentlich nicht sein, dass man sagt: "In den ersten Wochen, wo wir alle mit den bildgebenden Verfahren sehen, dass es bereits ein menschliches Leben ist, dessen Herz schlägt, da haben wir überhaupt keine strafrechtliche Sanktionierung. Aber ab dem Tag, wo das Kind außerhalb des Mutterleibes leben könnte – aber natürlich auch nur, wenn sich die Mutter und die Ärzte und andere weiter intensiv um das Kind kümmern – ab da soll das Strafrecht mit seiner vollen Wucht zuschlagen". 

Das scheint uns eine unplausible Regelung zu sein, die hinter das zurückfällt, was im Augenblick geltendes Recht ist. 

DOMRADIO.DE: Nun werfen wir mal einen Blick in viele andere Länder. Dort gibt es bereits die reine Fristenlösung. 

Welskop-Deffaa: Tatsächlich ist international die reine Fristenlösung der Normalfall. Das deutsche Modell, was man ein bisschen überspitzt als "Fristenlösung mit Beratungspflicht" bezeichnen könnte, ist die Ausnahme. Es ist auch viel billiger, eine reine Fristenlösung zu haben. Dann muss man das ganze Beratungssystem nicht unterhalten.

Man hat in den anderen Ländern auch keine Anstrengungen unternommen, eine Einrichtung wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zu schaffen, mit der man gezielt Verhütung und Aufklärung zu einem politischen Anliegen macht. Die Folge ist, dass in diesen Ländern die Abtreibungszahlen in die Höhe schnellen und letztlich die Frauen den Preis dafür zahlen, in dem sie statt einer vernünftigen Verhütung am Ende Abtreibung als die alternative Form der Verhütung quasi praktizieren müssen. Dahin können wir in Deutschland nun wirklich nicht zurückwollen. 

Das Interview führte Johannes Schröer.

SPD stimmt über Liberalisierung von Abtreibungen ab

In einem Positionspapier spricht sich die SPD für eine Liberalisierung von Abtreibungen aus. Über den Entwurf, der der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vorliegt, will die Fraktion am Dienstagnachmittag abstimmen. Danach soll die Frage der Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt werden. Zur Begründung heißt es unter anderem, dass das Recht auf Selbstbestimmung der Frauen durch die aktuelle Regelung nicht ausreichend berücksichtigt werde. Die SPD ist die erste Fraktion im Bundestag, die ein solches Positionspapier vorlegt.

Symbolbild: Embryo in den Händen einer Frau / © vetre (shutterstock)
Symbolbild: Embryo in den Händen einer Frau / © vetre ( shutterstock )
Quelle:
DR