"Offline würden wir niemals mit so vielen suizidgefährdeten Jugendlichen in Kontakt kommen wie online", sagt Jakob Henschel. Etwa 1.200 "Klienten" suchten im vergangenen Jahr den anonymen Austausch mit einem von rund 200 ehrenamtlichen Beratern des Projekts "U25". Aufmerksam wurden sie durch Info-Kanäle und Posts bei Facebook oder Instagram - oder über die Werbung eines Fortnite-Computerspielers, dessen Youtube-Stream tausende Jugendliche folgen. "Wir gehen dahin, wo junge Leute unterwegs sind", sagt Henschel.
Bereits seit 2001 gibt es das Beratungsangebot U25, bei dem Jugendliche unter 25 Jahren - daher der Name - Gleichaltrigen mit Suizidgedanken helfen wollen. Und in den vergangenen Jahren sind unter dem Dach der Caritas zahlreiche weitere Beratungsbereiche online gegangen: für Suchtkranke oder Senioren, bei Schulden oder schwierigen Schwangerschaften, bei Krankheit oder Fragen der Kindererziehung.
Revolution ohne Ausgrenzung
2019 will der Caritasverband nun mit seiner Jahreskampagne "Sozial braucht Digital" bundesweit auf neue Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung im Sozialbereich aufmerksam machen. Digitalisierung sei in aller Munde, viel zu oft aber beschränkten sich die Debatten auf Industrialisierung 4.0, Wirtschaft oder Verwaltung, heißt es bei der Caritas.
Wie Internet, Apps, Tablets und digitale Plattformen Arbeitsabläufe in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Beratungsstellen revolutionieren - und, wie verhindert werden kann, dass Menschen am Rande der Gesellschaft von den Verheißungen der schönen neuen Welt abgehängt werden, das soll nun stärker in den öffentlichen Fokus kommen.
Online und analog - es wird beides gebraucht
Dabei ist die Themenbreite der Caritas-Initiative sehr groß. Erste Caritas-Pflegeeinrichtungen in München testen Roboter, die Alten oder Behinderten Getränke reichen können. Ambulante Pflegerinnen sollen mittels Tablet und intelligenter Software von Bürokratie entlastet werden, um mehr Zeit für ihre Patienten zu haben. Im Altenheim liefert Youtube die passenden Hits für das Wunschkonzert der Bewohner. In Osnabrück sucht die Caritas per App nach ehrenamtlich Engagierten.
Und auch beim internen Austausch von Mitarbeitern, sei es lokal oder auch bundesweit, will die Caritas stärker auf die neuen digitalen Möglichkeiten setzen, etwa beim Ausbau des Caritas-Intranets. "Wir brauchen eine neue Kultur des Teilens von Informationen", formuliert der Koordinator der digitalen Agenda beim Caritasverband, Johannes Landstorfer. Gleichzeitig brauche es Experten, um Mitarbeiter besser zu schulen und ihnen die neuen Möglichkeiten zu eröffnen. "Aber klar ist auch, dass wir nicht online gegen analog ausspielen wollen - wir brauchen immer beides."
Digitalisierung soll allen zugutekommen
Auch die gestiegenen Anforderungen an den Datenschutz sind zu diskutieren. In einer Welt, in der Informationen begehrte Ware sind. Wie können beispielsweise besonders sensible Informationen über Pflegebedürftige, Behinderte oder Sterbende bestmöglich geschützt werden und dabei gleichzeitig für alle am Hilfsprozess Beteiligten abrufbar sein?
Caritaspräsident Peter Neher spricht von einer "digitalen Transformation" und weist auf große Herausforderungen für den Sozialverband hin. Gewohnte Strukturen, Hierarchien und Finanzierungsmodelle müssten sich ändern. Und die Caritas sieht den Gesetzgeber in der Pflicht, bei der Refinanzierung von sozialen Diensten flexiblere Rahmenbedingungen zu schaffen. Der Aufbau digitaler Infrastruktur im Sozialbereich sei nicht kostenfrei zu haben, argumentiert Neher.
Dem größten deutschen Sozialverband ist wichtig, niemanden vom digitalen Fortschritt abzuhängen. Niemals dürfe es dazu kommen, dass nur eine "digitale Elite" von den neuen Möglichkeiten profitiere. Auch das ein Ziel der Jahreskampagne 2019 "Sozial braucht Digital".