Caritas-Referentin skizziert Lage einen Monat nach Erdbeben

"Das wird die Region noch Jahre beschäftigen"

Einen Monat nach dem Erdbeben liegen ganze Städte in der Türkei und Syrien in Schutt und Asche. Regina Kaltenbach ist Auslands-Referentin bei Caritas International und erzählt, wie die Situation für Betroffene und Helfende aussieht.

Türkei, Islahiye: Eine Angehörige eines türkischen Rettungsdienstes und ein Mann gehen entlang von Trümmer, die durch das Erbeben ausgelöst wurde / © Zakariya Yahya (dpa)
Türkei, Islahiye: Eine Angehörige eines türkischen Rettungsdienstes und ein Mann gehen entlang von Trümmer, die durch das Erbeben ausgelöst wurde / © Zakariya Yahya ( dpa )

DOMRADIO.DE: "Eine Jahrhundert-Katastrophe", so hat der türkische Präsident Erdogan die Beben vor einem Monat genannt. Die Folgen werden die Region wahrscheinlich noch Jahre beschäftigen. Wie geht es den Betroffenen des Erdbebens aktuell?

 (CI)

Regina Kaltenbach (Auslands-Referentin bei Caritas International): Obwohl das Erdbeben nun vier Wochen her ist, sind wir immer noch in der akuten Nothilfe. Das heißt, es werden immer noch Menschen versorgt. Sie sind auf Nahrungsmittel, Unterstützung und die Verteilung von alltäglichen Gütern angewiesen. Diese Menschen haben alles verloren. Den größten Bedarf sehen wir aktuell bei der Versorgung mit Winterkleidung, der Möglichkeit sich aufzuwärmen und eine sichere Unterkunft zu haben.

In den letzten vier Wochen haben wir Zelte aufgebaut. Unsere Partner versorgen verschiedene Zwischenunterkünfte, Sammelunterkünfte und verteilen dort warme Lebensmittel. Sie leisten also eine Erstversorgung. Gleichzeitig sind unsere Partner vor Ort dabei, die nächste Phase vorzubereiten.

DOMRADIO.DE: Wie halten die Betroffenen den Kontakt zu ihren Verwandten und zu ihren Familien?

Regina Kaltenbach (Auslands-Referentin bei Caritas International)

"Syrien hat noch ganz andere Probleme als die Türkei"

Kaltenbach: Für Syrien kann ich sagen, dass der Großteil der Menschen auf ihr soziales Netzwerk zurückgreift und dass viele bei Familien und Freunden unterkommen. Über diejenigen, die in den Notunterkünften sind, lässt sich sagen, dass das die Ärmsten der Armen sind. Deren Verwandte haben nicht ausreichend Platz und Syrien ist ein Land, das jetzt im zwölften Jahr des Bürgerkriegs ist.

Gelichzeitig ist eine enorme Solidarität aller Menschen vor Ort zu erleben, die alles in Bewegung setzen, um sich in dieser verheerenden Situation zu unterstützen. Trotzdem gibt es immer noch eine unglaublich hohe Anzahl an verschollenen Menschen, von denen niemand weiß, wo sie sind. Gerade in Syrien ist es sehr schwierig. In der Türkei haben wir staatliche Strukturen, die bei der Suche unterstützen. In Syrien ist das nicht gegeben.

DOMRADIO.DE: Etwa eine Million syrische Geflüchtete leben im Erdbebengebiet. Auch schon vor dem Erdbeben litt die ganze Region unter einer humanitären Krise. Jetzt lesen wir auch in sozialen Medien viele Geschichten über rassistische Anfeindungen zwischen Syrern und Türken, auch in Bezug auf dieses Erdbeben. Was wissen Sie da?

Kaltenbach: Das höre ich auch von unseren Partnerorganisationen, die sowohl in der Türkei als auch im Nordwesten Syriens aktiv sind. Die Situation ist für Syrerinnen und andere Minderheiten in der Erdbebenregion wirklich schwierig.

Syrerinnen und andere Geflüchtete werden von Hilfen ausgeschlossen. Das spitzt sich in der Türkei bis zu der Frage zu, ob Syrerinnen und Syrer nicht zurück nach Syrien gehen könnten, das selbst stark vom Erdbeben betroffen ist.

Regina Kaltenbach (Auslands-Referentin bei Caritas International)

"Unsere Helfenden sind selbst betroffen"

DOMRADIO.DE: Worauf müssen Helferinnen und Helfer besonders achten, wenn sie mit den Betroffenen zusammenarbeiten?

Kaltenbach: Für Syrien kann ich sagen, dass unsere lokalen Kolleginnen und Kollegen vor Ort alle selbst betroffen sind. Wir haben das große Glück, dass wir in den eigenen Reihen keine Opfer hatten. Aber auch die haben Wohnungen, Verwandte und Freunde verloren. Sie stehen unter einem enormen psychischen Druck, bis hin zur posttraumatischen Belastung. Sie sind seit vier Wochen konstant im Einsatz.

Vor allem in den ersten zwei Wochen nach dem Erdbeben gab es ständig Nachbeben, die auf der Richterskala auch als eigenständige Erdbeben einzuordnen sind. Das heißt, die Menschen mussten auch nachts immer wieder aus ihren Unterkünften raus. Ich habe Kolleg*innen, die einfach über Wochen hinweg im Auto geschlafen haben, weil sie mir erklärt haben, das sei der Ort, an dem sie sich am schnellsten in Sicherheit bringen können.

Gleichzeitig aber leisten diese Menschen Hilfe und das ist ein sehr großes Spannungsfeld sowohl in Syrien, als auch in der Türkei. Darüber hinaus ist es sehr schwierig, zusätzliches Personal in die Krisengebiete zu schicken, da wir auch mit den Visa Herausforderungen haben. Ich versuche die Kolleg*innen, so weit es geht, von hier zu unterstützen.

Wir haben natürlich Angebote für psychologische Begleitungen, auch für die Angehörigen unserer Mitarbeitenden. Ich fliege jetzt am Donnerstag hin, um mir selbst ein Bild von der Lage zu machen. Aber ich bin natürlich zu weit weg, um noch mehr unterstützen zu können.

DOMRADIO.DE: Was kommt als Nächstes?

Kaltenbach: Da geht es vor allem um das Thema psychosoziale Unterstützung. Wir wollen als Caritas natürlich den Fokus insbesondere auf Frauen, Kinder, Menschen mit Behinderung und ältere Menschen legen. Das ist unsere Stärke.

Wir wollen sie befähigen befähigen, bestmöglich durch die harten Monate zu kommen, die noch vor uns liegen, neben der Basisversorgung mit Lebensmitteln. Das wird noch lange so weiterlaufen, weil die Menschen nicht in absehbarer Zeit zurückkehren können, weil die Wohnungen einfach zerstört sind.

Natürlich eruieren wir, inwiefern sichere Unterkünfte wiederhergestellt oder Übergangslösungen gefunden werden können.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Caritas international

Caritas International arbeitet eng mit den weltweit 165 nationalen Caritas-Organisationen zusammen. Von seinem Hauptsitz in Freiburg aus unterstützt das katholische Hilfswerk jährlich etwa 1.000 Hilfsprojekte in aller Welt. In den Projekten gewährleisten die Kompetenz und das Engagement der einheimischen Caritas-Mitarbeiter den dauerhaften Erfolg vor Ort.

Die Caritas gibt es in über 160 Ländern / © Karolis Kavolelis (shutterstock)
Die Caritas gibt es in über 160 Ländern / © Karolis Kavolelis ( shutterstock )
Quelle:
DR