DOMRADIO.DE: Wo erreiche ich sie denn gerade aktuell?
Hakan Temel (Organisator der Hilfsaktion "Neusser Bündnis"): Ich bin gerade sehr zentral in der Türkei, in Kappadokien, in der Stadt Nevşehir. Das grenzt auch an das Erdbebengebiet, ist aber nicht im Gebiet selbst.
DOMRADIO.DE: Hat Nevşehir für Neuss eine große Bedeutung?
Temel: Das ist seit über elf, zwölf Jahren unsere Partnerstadt. Seitdem pflegen wir einen intensiven Austausch. Phasenweise mal mehr, mal weniger. Aber man kennt sich und das ist auch gut so gewesen, was jetzt auch diese Spendenaktion angeht.
DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt: Wir wollen 40 Tonnen Hilfsgüter in die Türkei bringen. Aber nicht irgendwohin, sondern – auch wenn es nicht direkt das Erdbebengebiet ist – in die Partnerstadt. Warum?
Temel: Das hat mehrere Gründe. Wir haben ganz viel abgeklappert, was Hilfsorganisationen und den staatlichen Katastrophenschutz angeht. Und da haben wir tatsächlich festgestellt, dass wir, um nachhalten zu können, dass das, was wir an Sachspenden hier in die Türkei gebracht haben, auch wirklich dahin geht und da ankommt, wo es auch gebraucht wird, dass uns das mit Nevşehir am einfachsten gefallen ist.
Weil wir hier auch mit mit der Stadtverwaltung in Nevşehir besprechen konnten, wo was im Groben hingehen könnte und dürfte. Das hat bis bis dato auch geklappt. Ich habe heute noch mal eine Rückmeldung bekommen, wo noch mal ein Teil der Spenden hingegangen ist.
DOMRADIO.DE: Man muss natürlich wissen: Nevşehir ist nicht Erdbebenopfer geworden. Das heißt, da gibt es keine zerstörten Gebäude. Trotzdem sind dort wahrscheinlich jetzt gerade unglaublich viele Flüchtlinge.
Temel: In der Stadt selbst sind es bis zu 15.000 Erdbebenopfer und in der Region von Nevşehir sind es 25.000. Tendenz steigend. Die kommen auch aus ganz vielen Städten. Dieses Erdbebengebiet ist sehr groß und hier sind wirklich viele verschiedene Menschen vertreten. Denen wird auch – so wie ich das hier augenscheinlich wahrnehmen kann – sehr gut geholfen.
Was in Nevşehir jetzt gemacht wird: Die verteilen einen Teil unserer Spenden aus Neuss an die Menschen, die jetzt hier zu Gast sind. Aber die fahren auch regelmäßig ins Erdbebengebiet, um einmal mit Mitarbeitern der Verwaltung bei den Aufräumarbeiten zu helfen, aber auch, um die Spenden vorbeizubringen. Da habe ich heute noch Fotos bekommen, wie ein Kleintransporter beispielsweise in Hatay angekommen ist.
DOMRADIO.DE: Das sind 40 Tonnen Hilfsgüter, die in den ersten anderthalb Wochen gesammelt worden sind. Das sind alles Spenden von Bürgern und Bürgerinnen gewesen, die man vorbeibringen konnte. Was fällt da alles drunter?
Temel: Wenn ich das vorab korrigieren darf: Es ist tatsächlich ein 40-Tonner, ja. Aber dieser 40-Tonner hat jetzt knapp 12 Tonnen Hilfsgüter dabeigehabt. Der nennt sich 40-Tonner der selbst um die 10 Tonnen wiegt und bis zu 30 Tonnen kann man noch aufladen. Aber wir haben den LKW voll bekommen, wir sind auf zwölf Tonnen gekommen und da ging es jetzt hauptsächlich um Hygieneartikel; von Pampers über Binden bis hin zu Feuchttüchern und auf der anderen Seite auch Lebensmittel, größtenteils in Dosen verpackt, also in Konserven. Aber auch Nudeln und Reis. Alles, was nicht so schnell verderblich ist und schnell zubereitet werden kann.
DOMRADIO.DE: Die Menschen, die gespendet haben, sind das eine. Aber ihre Hilfsinitiative, das "Neusser Bündnis" hatte sich ja auch sehr schnell gegründet. Da sind ja alle zusammengeflossen, die in Neuss was zu sagen haben oder als Organisation oder als Verein eine Bedeutung haben.
Temel: Ja, absolut. Das ist – ich sage es mal ein bisschen frei Schnauze – echt der Hammer, wie schnell das ging. Das ist natürlich auch dem geschuldet, dass das es ein gut funktionierendes Netzwerk in der Stadtgesellschaft gibt. Irgendwie weiß man dann schon, wer für was einsteht. Daher ging das auch sehr schnell. Es ist tatsächlich eine sehr bunte Gruppe, ein sehr buntes Team. Uns war schnell klar, wohin die Reise geht. Man war sich schnell einig, dass man sowohl Sachspenden sammeln möchte, aber bedarfsorientiert.
Wir haben beispielsweise auf Kleidung verzichtet. Wir haben nämlich früh aus Medienberichten, aber auch aus direktem Kontakt, wo wir immer Austausch hatten in der Region, gemerkt: Was braucht man eher? Was ist jetzt akut und was vielleicht nicht so dringend? Da kamen wir dann auf diese Sachspenden. Wir haben aber auf der anderen Seite gesagt, wir möchten auch beispielsweise Syrien sehen. Wie können wir das am besten bewerkstelligen? Da war dann auch recht schnell klar: Es ist fast unmöglich, Sachspenden da rüber zu bekommen wegen der Kriegssituation, die in Syrien herrscht.
Wir haben uns dann entschlossen zu schauen, wo man wem eine Geldspende zukommen lassen kann. Wir haben dann einen Hinweis aus der Neusser Bürgerschaft bekommen. Eine Dame syrischen Ursprungs, die gesagt hat, dass sie uns ein, zwei Adressen nennen kann. Das waren beides kirchliche Träger oder beide hatten einen kirchlichen Hintergrund. Da haben wir uns dann schnell mit Oberpfarrer Andreas Süß kurzgeschlossen, der der Sache auch noch mal nachgegangen ist. Wir wollten tatsächlich prüfen, ob das jetzt auch ein echter Kontakt ist. Und das war er tatsächlich. Da wollen wir jetzt im ersten Schritt auch eine größere Geldsumme hinschicken.
DOMRADIO.DE: Also die Hilfe des Neusser Bündnisses für die Türkei und für Syrien wird weitergehen?
Temel: Absolut, genau. Ich habe mir vorgestern noch ein Fertighaus-Projekt vor Ort in der Erdbeben Region angeschaut. Das wollen wir auch finanziell mit unterstützen.
Das Interview führte Bernd Hamer.