CDU-Politiker über den Einfluss der Religion auf politisches Handeln

"Wir können das Paradies nicht schon auf Erden schaffen"

So viele Katholiken saßen voraussichtlich lange nicht mehr am Kabinettstisch. Im Interview beantwortet CDU-Politiker Christian Hirte, ob die Konfession in der Politik noch eine Rolle spielt und das Handeln beeinflusst.

Gemeinsame Verantwortung für die Welt / © Jan Woitas (dpa)
Gemeinsame Verantwortung für die Welt / © Jan Woitas ( dpa )

DOMRADIO.DE: Von acht designierten CDU-Ministern sind sechs katholischen Glaubens. Auch die frisch gekürte Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer ist katholisch. So viele Katholiken am Kabinettstisch – ist das für Sie ein Grund zur Freude?

Christian Hirte (Vorsitzender des Kardinal-Höffner-Kreises in der Unions-Bundestagsfraktion): Es ist natürlich schön, wenn Katholiken in die Bundesregierung kommen und in höchste politische Ämter. Aber ich glaube, es gibt geradezu ein christliches Gen. Das ist nicht typisch katholisch, politisch und gesellschaftlich Verantwortung zu übernehmen.

Wenn man sich anschaut, wie es in anderen gesellschaftlichen Bereichen, aber auch in der Politik insgesamt aussieht, stellt man fest, dass dort überdurchschnittlich viele Christen engagiert und am Ende auch in Verantwortung sind. Deshalb war es fast nur folgerichtig, dass jetzt wieder mehr Katholiken Verantwortung bekommen, weil die sich besonders stark gesellschaftlich und politisch engagieren.

DOMRADIO.DE: Der Begriff "Christliches Menschenbild" ist in den vergangen Tagen oft bemüht worden. Kramp-Karrenbauer, Laschet, Grütters - sie alle haben das als Fundament ihres politischen Handelns bezeichnet. Wie christlich ist es noch, wenn zum Beispiel - wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben - der Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge begrenzt ist?

Hirte: Zunächst ist es so, dass die CDU ja keine christliche Partei ist, sondern dass wir uns auf dem christlichen Wertefundament in unserer Politik orientieren. Kardinal Höffner, der Namensgeber des Netzwerkes, dem ich vorstehen darf, hat das Standardwerk "Christliche Gesellschaftslehre" geschrieben. Darin dekliniert er, was politisches Handeln ganz praktisch für unsere Gesellschaft heißt: Personalität, Subsidiarität und Solidarität. Es ist das, was Kirchen gesinnungsethisch sagen und das, was dann der Politiker verantwortungsethisch im praktischen Leben in den Blick nehmen muss.

Wenn wir das Thema Flüchtlinge anschauen, dann ist es so, dass wir uns auf der einen Seite unserer ethischen Verantwortung stellen wollen – was wir, wie ich finde, in den vergangenen Jahren in beeindruckender Weise in Deutschland auch getan haben – wir auf der anderen Seite aber auch sehen müssen, dass es Begrenzungen gibt. Es gibt ganz praktische Begrenzungen in der Gesellschaft, aber eben auch in der gesellschaftlichen Bereitschaft, sich zu engagieren und einen bestimmten Zuzug zu verkraften. Auch das, sowie den gesellschaften Frieden insgesamt, muss man in den Blick nehmen.

DOMRADIO.DE: Sind christliche Positionen denn noch selbstverständlich in Ihrer Partei, die immerhin das "C" im Namen trägt – oder hatten sie als katholischer Politiker bei Entscheidungen in der vergangenen Legislaturperiode auch Bauchschmerzen?

Hirte: Eine der letzten größeren Debatten im Deutschen Bundestag der letzten Legislatur war ja das Thema "Ehe für Alle". Da gab es am Ende eine Mehrheit, die ein Gesetz verabschiedet hat, das nicht meine persönliche Auffassung widerspiegelte - auch nicht die Auffassung vieler Kollegen in der Union. Das war ein solches Thema.

Wir hatten aber immer wieder auch wahre Höhepunkte der parlamentarischen Diskussionskultur, etwa beim Thema Präimplantationsdiagnostik und ähnlichen Themen, gerade im Grenzbereich menschlichen Lebens. Ich finde, auch wenn man sich am Ende mit seiner eigenen Auffassung nicht durchsetzt, muss man doch eher sagen, dass im Bundestag die gesellschaftspolitisch entscheidenden Themen häufig auf hohem Niveau und in einer fairen Art und Weise geführt werden. 

DOMRADIO.DE: Ihre Partei hat sich gestern für den Koalitionsvertrag mit der SPD ausgesprochen, trotzdem hängt alles am seidenen Faden. Dann nämlich, wenn die SPD-Mitglieder ihn ablehnen. Das Ergebnis werden wir am kommenden Wochenende erfahren. Finden Sie es gut, dass jetzt rund 460.000 Personen darüber entscheiden, ob unser Land eine stabile Regierung bekommt oder nicht?

Hirte: Das muss natürlich die SPD mit sich selber ausmachen. Aber allein Ihre Fragestellung zeigt schon deutlich, dass das Prozedere problematisch ist. Es gab Millionen Menschen, die im letzten Jahr zu den Wahlurnen gegangen sind und sich engagiert für eine politische Richtung entschieden haben. Und heute entscheiden ein paar hunderttausend SPD-Mitglieder, ob es jetzt irgendwie zu einer Regierung kommt.

Das ist etwas schwierig - zumal natürlich auch die Abgeordneten am Ende kein sogenanntes imperatives Mandat haben, also eigentlich nicht dem Votum der Basis folgen müssten. Aber natürlich ist es auch so, dass Parteien Koalitionen vereinbaren und nicht die Abgeordneten im Deutschen Bundestag. Und wir haben es mit einem Parteitagsbeschluss gemacht. Die SPD macht es mit einer Mitgliederbefragung. Das muss man akzeptieren, auch wenn man es vielleicht nicht gut findet.

DOMRADIO.DE: Was haben Sie sich als Vorsitzender des Kardinal-Höffner-Kreises vorgenommen. Welche Positionen und politischen Vorhaben liegen Ihnen besonders am Herzen?

Hirte: Ich habe vorhin schon die drei Punkte genannt, die prägend für eine Gesellschaftspolitik im christlichen Sinne sind, nämlich Personalität, Subsidiarität und Solidarität. Personalität meint: Wir wollen zum einen darauf achten, dass wir jeden Einzelnen so nehmen, wie er ist. Wir können das Paradies nicht schon auf Erden schaffen, sondern müssen mit den Menschen umgehen, die da sind – mit ihren persönlichen Befindlichkeiten, mit ihrem Verhalten und ihren Vorstellungen vom eigenen Leben.

Subsidarität heißt: Wir müssen dafür sorgen und Rahmenbedingungen schaffen, das die kleinste mögliche Einheit - sei es die Familie, ein Unternehmen oder eine staatliche Ebene - für sich selbst regelt, was für sie regelbar ist. Dass man das nicht zentral von oben bestimmt, sondern möglichst dort organisiert, wo es die größtmögliche Nähe zum Thema gibt und auch die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Und Solidarität meint, dass eben nicht jeder auf sich schaut, sondern wir im Sinne der Solidarität ein Gemeinwesen schaffen, wo wir aufeinander Rücksicht nehmen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Bundestagsabgeordneter Christian Hirte (ganz rechts) neben der Kanzlerin und CDU-Kollegen / © Swen Pförtner (dpa)
Bundestagsabgeordneter Christian Hirte (ganz rechts) neben der Kanzlerin und CDU-Kollegen / © Swen Pförtner ( dpa )

Bundeskanzlerin Angela Merkel beim CDU-Bundesparteitag / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Bundeskanzlerin Angela Merkel beim CDU-Bundesparteitag / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )

Nahles, Schulz und Dreyer beim Außerordentlichen Parteitag der SPD / © Kay Nietfeld (dpa)
Nahles, Schulz und Dreyer beim Außerordentlichen Parteitag der SPD / © Kay Nietfeld ( dpa )
Quelle:
DR
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