DOMRADIO.DE: Frauen, Glaube, Diplomatie: Das ist das Thema der interreligiösen Konferenz, die, von Ihrer Stiftung organisiert, in Lindau am Bodensee stattfindet. Wie hängen diese Begriffe zusammen?
Annette Schavan (Vorsitzende Stiftung Friedensdialog der Weltreligionen und Zivilgesellschaft): Es wird bei dieser Konferenz darum gehen, wie vom Glauben geprägte Frauen Führungsverantwortung wahrnehmen, Transformationsprozesse befördern, friedensstiftend wirken. Das soll der Schwerpunkt sein, deshalb diese drei Begriffe. Also keine reine Frauenkonferenz, keine reine Glaubenskonferenz, sondern genau dieser Zusammenhang: Wie Frauen aus dem Glauben heraus die Welt gestalten.
DOMRADIO.DE: Es geht also um weibliche, religiöse Führungspersönlichkeiten. Gibt es denn da überhaupt so viele?
Schavan: Es gibt sie. Dazu gehört die Generalsekretärin von "Religions for Peace", Azza Karam, eine Frau aus Ägypten, eine Professorin in Amsterdam, eine global wirkende Muslima, die zu den spirituell besonderen Personen der Geschichte Hildegard von Bingen zählt.
Warum nenne ich dieses Beispiel? Weil es ein klassisches Beispiel dafür ist, das bei Frauen nicht selten zu finden ist: nicht nur in der eigenen Community zu wirken und die zu kennen, sondern um die vielen Interdependenzen, die vielen Zusammenhänge in der globalen Welt zu wissen. Und so finden sich auch viele andere, manche nicht so bekannt wie die jetzt genannte.
Weil vielleicht auch zu der Führungskultur, an der Frauen besonders beteiligt sind, gehört, dass das nicht von oben herab entsteht, sondern aus dem Wirken an der Basis, an der Peripherie, wie Papst Franziskus es oft genannt hat.
DOMRADIO.DE: Wie könnte die Rolle dieser religiösen, weiblichen Führungspersönlichkeiten, die Sie jetzt zum Beispiel gerade genannt haben, denn ausgebaut werden? Und was würde das bedeuten?
Schavan: Ich bin davon überzeugt, dass mehr davon auch mehr Integration in dieser Welt, mehr inklusive Gesellschaft, mehr Perspektive von der Peripherie ins Zentrum bedeuten würde. Denn im Zentrum von mancher Religionsgemeinschaft und Kirche sind die Frauen viel weniger vertreten als an der Peripherie. Es kann die Chance zu einer Umkehrung der Perspektiven sein, aus denen sich neue Leitideen, neue Paradigmen entwickeln.
Am Beginn von Verstärkung und noch mehr vom Guten steht, sich zunächst einmal auszutauschen und zu sehen: Was für Erfahrungen machen wir eigentlich? Was davon ist zukunftsträchtig? Was davon ist geeignet, über die Grenzen einer Religion und Kultur hinaus wirksam zu werden?
DOMRADIO.DE: Sie sagen auch: Hier in Europa unterschätzen wir die Bedeutung der Religionen. Wie könnte das in Zukunft vielleicht anders werden?
Schavan: Nun, die islamistischen Anschläge der letzten Wochen zeigen auch den Europäern, dass es falsch war zu glauben, wir lebten in einer säkularen Zeit. Also, der Mainstream oder die häufig geäußerte Meinung war ja, Religionen waren als Deutungsmuster in der Vergangenheit wichtig. In der Zukunft wird das nicht mehr so sein. Die Wissenschaft liefert uns die Deutung gleichsam von Gott und der Welt.
Und nun sehen wir, dass in anderen Regionen der Welt die Dinge völlig anders gesehen werden, Religion auf der Bühne der Politik längst wieder oder immer präsent war, vielleicht mit Ausnahme von Europa, diese Religion mit politischen Ansprüchen verbunden ist und eben beides sichtbar wird, die Heilsgeschichten und die Unheilsgeschichten.
Oder, wie Bischöfin Käßmann zuletzt gesagt hat, Religion ist eben nicht unschuldig. Das alles zu unterschätzen war ein Irrtum. Und deshalb wird auch bei den Europäern, zum Beispiel in den Außenministerien europäischer Länder, das Interesse an Religion und Religionen und deren Beitrag zum Frieden stärker.
Das Interview führte Michelle Olion.