Chicagos Kardinal Cupich kritisiert Streit um Reformen

"Die Spaltung war schon immer da"

Die Kirche steckt in der Krise, nicht nur in Deutschland. Ist Synodalität der Ausweg? Chicagos Erzbischof blickt im Interview auf die Weltsynode sowie den Synodalen Weg und nennt das Pontifikat von Franziskus "historisch".

 © Bob Roller (KNA)
© Bob Roller ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche in Deutschland, den USA und weltweit polarisiert, nicht zuletzt wegen der synodalen Reformprozesse in der Kirche. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht? Ist eine polarisierende Kirche der richtige Weg  in die Zukunft?

Blase Kardinal Cupich (Erzbischof von Chicago): Es gibt in der Tat im Moment einen Geist der Spaltung und Polarisierung in der Kirche – wie auch in der ganzen Welt. Das hat sich in den vergangenen Jahren erst in dieser Form entwickelt. Früher hat man sich eher über Themen gestritten, jetzt lebt jeder in seiner eigenen Blase und setzt sich gar nicht mehr mit dem Gegenüber auseinander.

Synodalität stellt eine Möglichkeit für uns dar, diese Spaltungen zu überwinden. Das Wort an sich bedeutet "einen gemeinsamen Weg" gehen. Das ist ein besonderer Wunsch des Heiligen Vaters für die Kirche in dieser Zeit. Meine Hoffnung ist aufeinander zu hören und wirklich auf die andere Seite einzugehen, wenn wir diesem synodalen Weg folgen. Wir müssen zuhören, aber auch so, dass wir unser Gegenüber ernst nehmen, dass uns der andere wichtig ist. Es ist wichtig, dass wir nicht nur versuchen einen Streit zu gewinnen und die Gegenseite von unseren Argumenten zu überzeugen. Wir müssen Wege finden, die Gräben zwischen uns zu überwinden, die die Polarisierung in der Welt und der Kirche aufgerissen haben. Ich habe also große Hoffnungen auf den synodalen Prozess der Weltkirche.

DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie denn diese Spaltungen im Erzbistum Chicago? Der synodale Prozess kommt ja nicht überall gut an.

Cupich: Im Erzbistum Chicago haben wir schon die vergangenen sechs Jahre einen eigenen synodalen Prozess eingeschlagen. Wir haben dabei verschiedene Gemeinden in Gruppen zusammengefasst, die dann gemeinsam über die Zukunft der Kirche diskutiert haben, gerade auch im Blick auf die Ressourcen, die in Zukunft zur Verfügung stehen, auch räumlich gesehen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir 360 Pfarrkirchen im Erzbistum Chicago, viele davon von Einwanderern gegründet, die diese Gemeinden längst verlassen haben. Uns war es wichtig zu schauen, ob eine Gemeinde noch genügend Mitglieder hat, um eigenständig zu überleben.

Dieser diözesane synodale Prozess war dabei eine gute Gelegenheit, gegenseitig Gedanken und auch Bedenken auszutauschen. Nicht jedem haben diese Umstrukturierungen gefallen. Die einzelnen Diskussionsgruppen haben verschiedene Szenarien entwickelt, wie es in unserem Bistum weiter gehen könnte. Darauf haben wir uns in unseren Entscheidungen bezogen. Menschen haben unterschiedliche Meinungen, aber das ist in der Gesellschaft doch ganz normal. Das müssen wir uns bewusst machen. Das sollte uns aber nicht paralysieren und von wichtigen Entscheidungen abhalten.

Wir haben die Zahlen der Gemeinden am Ende um ein Drittel reduziert. Wir sind unterwegs auf der nächsten Etappe, auf der wir eine neue Realität schaffen müssen und in der wir auch auf die spirituellen Bedürfnisse der Gläubigen eingehen müssen.

Blase Kardinal Cupich

"Synodalität ist keine Demokratie in der einfach abgestimmt wird. Es geht um Differenzierung."

Synodalität ist keine Demokratie, in der einfach abgestimmt wird. Es geht um Differenzierung. Wir geben unser Bestes, um auf Gottes Stimme zu hören, wohin er uns und seine Kirche in diesem Moment ruft. Wir müssen sowohl auf die Bedürfnisse der Menschen hören, als auch auf die Stimme des Heiligen Geistes.

DOMRADIO.DE: Von Kritikern wird dem Synodalen Weg in Deutschland allerdings genau das vorgeworfen, bei einem demokratischen Prozess die Stimme des Heiligen Geistes zu vergessen. Wie blicken Sie auf den deutschen Prozess? Papst Franziskus hat den Prozess deshalb schon mehrmals kritisiert und unter anderem von „Parlamentarismus“ gesprochen.

Cupich: Ich habe da keinen direkten Einblick aus erster Hand. Ich bekomme nur aus den Medien davon mit. Wenn es in der Tat eine Art parlamentarischer Prozess ist, in dem demokratische Abstimmungen im Vordergrund stehen, in dem Stimmen ausgezählt und Argumente gegenübergesetzt werden, dann wäre das aus katholischer Sicht in der Tat schwer zu verteidigen. Gleichzeitig kenne ich eine Reihe deutscher Bischöfe. Ich weiß, dass sie nur die besten Absichten haben. Das sind gute Hirten, die ihr bestes geben, um auf die Stimme der Gläubigen zu hören, ihre Wünsche und Hoffnungen zu sehen. Ich glaube, mit der Zeit wird das Projekt einen guten Abschluss finden. Die Bischöfe sind treu gegenüber ihrem Auftrag, den Menschen zuzuhören, aber auch im Sinne der Kirche zu handeln. Und sie sind dem Heiligen Vater gegenüber treu.

Ich weiß, dass es im Moment einige ungelöste Probleme und Konflikte im Synodalen Weg gibt. Wenn wir aber gemeinsam vorangehen und aufeinander hören, wenn uns das Wohl der Kirche allen am Herzen liegt, dann findet sich sicher ein guter Weg.

DOMRADIO.DE: Wir haben einige weitreichende Reformideen vorgelegt in Deutschland. Segen für gleichgeschlechtliche Paare oder Predigten für Frauen. Sie sind bekannt als führende Stimme der progressiven Kirche in den USA. Geht das für Sie in die richtige Richtung?

Cupich: Es gibt ja bereits Orte in der Kirche, wo die Stimme von Frauen in einer Art Predigt gehört wird, wenn wir die Feier der Eucharistie mal außen vor lassen. Die Reflektionen und Gedanken von Frauen spielen also eine große Rolle für die Kirche. Wir müssen allerdings auch im Blick behalten, dass die Verkündigung des Evangeliums und die Predigt, die Homilie in der Messe, eine Einheit bilden. Was heißt das für uns? Wer der Messe vorsteht, der verkündet im Namen Jesu das Evangelium. Ich hätte allerdings kein Problem damit, Frauen oder Laien allgemein an anderer Stelle in der Messe die Möglichkeit einer Reflektion zu geben, vielleicht nach dem Empfang der Kommunion. Bei uns in den USA haben wir zum Beispiel auch schon die Praxis, dass Missionare und Missionarinnen in den Messen nach dem Evangelium zu Wort kommen. Wir sollten nach Wegen suchen, solche Ansätze zu stärken. Ich denke aber auch, dass es einen Wert hat, die Verbindung von Evangelium und Homilie hochzuhalten, die durch den Priester zelebriert wird.

Was die Segensfrage betrifft: Es ist immer wichtig, Menschen mit Respekt zu begegnen. Wir wollen nicht die Botschaft verbreiten, dass wir Menschen ausschließen oder ihnen keinen Respekt zeigen. Gleichzeitig müssen wir uns fragen: Was genau bedeutet es, eine Verbindung zu segnen? Ist das der Segen für eine Freundschaft, für eine nicht-sakramentale Verbindung? Wir müssen klar definieren, was wir damit meinen. Diese Klarheit sehe ich zu diesem Zeitpunkt in der Kirche noch nicht.

DOMRADIO.DE: Sie sagen also, wir sollten uns nicht in die Extreme verrennen, sondern versuchen pragmatische Lösungen für die drängenden Fragen der Zeit zu finden, mit denen alle Seiten leben können?

Cupich: Ich kann nur noch mal wiederholen: Wir müssen einander zuhören und uns gegenseitig respektieren. Wir müssen aber auch auf die Stimme der katholischen Tradition hören. Der christliche Autor G.K. Chesterton hat mal gesagt: Tradition ist die Demokratie der Toten. Wir müssen auf die Stimme der Menschen in unserer Zeit hören, wir müssen aber auch die Stimme der Menschen ernst nehmen, die vor uns gelebt haben.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es denn mit der gelebten Synodalität in der US-Bischofskonferenz aus? Die wirkt ja noch viel gespaltener als Deutschland. Wie geht man da mit den Konflikten synodal um?

Cupich: Ich würde das nicht Konflikt nennen. Das wäre es nur, wenn wir nicht aufeinander hören würden. Meinungen sind wichtig, und genauso sie sich anzuhören. Schauen Sie sich den Bericht an, den die US-Bischofskonferenz zur Weltsynode an den Vatikan gegeben hat. Der ist schon relativ fortschrittlich darin, die Probleme der Stunde aufzugreifen. Wir haben Bereiche identifiziert, wo sich Menschen in der Kirche einfach nicht gehört gefühlt haben. Und wir geben konkrete Ansätze, wie wir zu einer synodalen Kirche werden können. Der Ansatz, den wir in unserem Dokument aufgegriffen haben, ist viel breiter als das Dokument auf der Kontinentalebene. Unsere Konferenz hat da gute Arbeit geleistet und die Stimmen, die wir im Rahmen des synodalen Prozesses gehört haben, auch zu Gehör gebracht.

Blase Kardinal Cupich

"Wir haben eine Richtung und die ist nach vorne. Das Problem liegt bei den Stimmen, die dem Heiligen Vater widersprechen."

DOMRADIO.DE: Sie sind Mitglied der Bischofskongregation im Vatikan. Auch in Rom gibt es Stimmen, die die Weltsynode kritisch sehen. Wie gehen Sie auf dieser Ebene mit den kritischen Stimmen um?

Cupich: Wenn der Heilige Vater die Kirche in diese Richtung steuert, ist meine Reaktion erst mal: Ich stehe zum Petrusamt. Ich denke das sollte jeder Bischof so sehen. Es ist klar und deutlich, was Papst Franziskus von uns will. Wir haben eine Richtung und die ist nach vorne. Das Problem liegt bei den Stimmen, die dem Heiligen Vater widersprechen. Wir müssen immer dran denken, dass der Nachfolger Petri die Einheit der Kirche versichert, aber auch die Überlebensfähigkeit der Gemeinschaft. Wer auch immer sich dagegen stellt, geht das Risiko ein, eine Spaltung in der Kirche hervorzurufen. Das ist auch nicht getreu dem Willen des Heiligen Geistes, der durch die Stimme des Papstes vertreten wird.

DOMRADIO.DE: Papst Franziskus ist jetzt über zehn Jahre im Amt, Sie als Kardinal sind da relativ nah dran. Wie blicken Sie auf sein Pontifikat? Obwohl er viel bewegt hat, ist die Spaltung in dieser Zeit ja eher größer geworden.

Cupich: Die Spaltung war schon immer da. Jetzt dringt sie vielleicht mehr an die Oberfläche. Der Heilige Vater ist mutig Probleme anzugehen, die lange unter der Oberfläche gebrodelt haben.

Für mich ist dieses Pontifikat wahrlich historisch. Die Geschichte wird auf diese Zeit als einen Wendepunkt in der Kirchengeschichte blicken, genau wie bei Papst Johannes XXIII. und dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Papst Franziskus führt uns in das nächste Kapitel der Kirchengeschichte, indem er uns gegenseitig zum Zuhören auffordert – und auch darauf, auf den Heiligen Geist zu hören. Ich habe großes Vertrauen in den Kurs, den der Heilige Vater eingeschlagen hat. Ich weiß dass es kritische Stimmen gibt, aber das sind wenige. Sie sind laut, aber sie sind nicht viele.

Blase Kardinal Cupich

"Die Geschichte wird auf diese Zeit als einen Wendepunkt in der Kirchengeschichte blicken."

DOMRADIO.DE: Der Weg in die Zukunft der Kirche ist also nicht nur höflich aufeinander zu hören, sondern auch Probleme und Konflikte offen anzusprechen und auszutragen?

Cupich: Wir werden keine Zukunft haben, wenn wir nicht auch Wert auf unsere Gegenwart legen. Wohin will uns der Heilige Geist in diesem Moment führen? Ich habe Vertrauen in Papst Franziskus. Er will, dass wir aufmerksam sind und unsere eigenen Perspektiven auch mal verlassen. Genau in diesen Momenten spüren wir die Gnade Gottes und sehen den Heiligen Geist am Werk.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Die katholische Kirche in den USA

Die römisch-katholische Kirche ist die größte Glaubensgemeinschaft der USA, denn die Protestanten teilen sich in verschiedene Konfessionen. Ein knappes Viertel der US-Amerikaner ist katholisch, die meisten Katholiken leben im Nordosten und im Südwesten. Genaue Zahlen sind schwierig, weil in den USA der Wechsel einer Konfession sehr häufig vorkommt.

Die katholische Kirche in den USA / © rawf8 (shutterstock)
Die katholische Kirche in den USA / © rawf8 ( shutterstock )
Quelle:
DR