Knapp drei Monate nach dem Besuch von Franziskus beherrscht der Papst wieder die Schlagzeilen der chilenischen Medien. Kaum eine Zeitung, die nicht ausführlich und auf der Titelseite über das Schreiben berichtet, in dem Franziskus wegen seines Verhaltens im Missbrauchsskandal um Entschuldigung bittet.
"Der Brief des Papstes verschärft die Differenzen innerhalb der Chilenischen Bischofskonferenz", kommentiert "La Tercera" (Freitag) und prognostiziert große Umwälzungen in der chilenischen Kirche. "Der Papst wird es nicht bei einer Entschuldigung belassen", schreibt das Blatt und beruft sich auf einen "einflussreichen chilenischen Geistlichen in Rom". Gemeint ist der Jesuit Marcelo Gidi.
Gidi glaubt an eine Neustrukturierung in der Kirchenleitung des südamerikanischen Landes. "Das ist schwerwiegender als nur der Fall Barros. Der Papst wird nicht nur bei einem Perdon bleiben", ist sich Gidi sicher, der an der Universität Gregoriana Theologie lehrt.
Brief des Papstes als Verbesserungs-Impuls
Die chilenischen Medien versuchen bereits ein Szenario zu entwerfen. So könnte ein Apostolischer Visitator in die Diözesen Linares, Talca, Osorno und Santiago entsandt werden, um dort die personellen Strukturen zu überprüfen. Und Franziskus könnte die kommenden Amtsverzichte aus Altersgründen nutzen, um für Änderungen zu sorgen.
Die Erzbischöfe und Bischöfe, die bereits ihren Rücktritt aus Altersgründen angeboten haben, sind Kardinal Ricardo Ezzati (76, Santiago), Alejandro Goic (78, Rancagua), Cristian Caro (75, Puerto Montt) und Gonzalo Duarte (75, Valparaiso).
Derweil bestimmt der Brief des Papstes, der die chilenischen Bischöfe während ihrer Vollversammlung in Punta de Tralca erreichte, für viel Diskussionsstoff. "Den Brief des Papstes sehen wir als den besten Impuls, um uns zu verbessern", sagte Temucos Bischof Hector Vargas. Das Klima der Versammlung sei dennoch gut, versicherte er Journalisten. Die drei im Zentrum des Missbrauchsskandals stehenden Bischöfe Horacio Valenzuela aus Talca, Tomislav Koljatic aus Linares und Juan Barros aus Osorno hätten zwar an allen Aktivitäten teilgenommen, berichteten chilenische Medien. Die Nachrichten aus dem Vatikan seien aber nicht spurlos an ihnen vorübergegangen.
Missbrauchsopfer erkennen Geste des Papstes an
Die betroffenen Missbrauchsopfer zeigten sich von der Initiative des Papstes ebenso beeindruckt wie die Gegner des umstrittenen Bischofs Barros. Eine Laienorganisation der Diözese Osorno erklärte, dies gehe über das hinaus, was man erhofft habe. "Wir erkennen die Geste des Papstes an", heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme der Missbrauchsopfer James Hamilton, Jose Andres Murillo und Juan Carlos Cruz. Sie hätten vom Vatikan eine Einladung für ein Treffen mit Franziskus "in den kommenden Wochen" erhalten. Sie wollten mithelfen, in der katholischen Kirche eine Null-Toleranz-Politik in Sachen Missbrauch zu etablieren, schreiben die drei Missbrauchsopfer.
Franziskus hat auch Chiles Bischöfe nach Rom gerufen, um mit ihnen über die Konsequenzen aus der Missbrauchskrise zu beraten. Die Protokolle eines Teams von Sonderermittlern hätten in ihm "Schmerz und Scham" ausgelöst, betonte er. Das mit Spannung erwartete Treffen soll angeblich in der dritten Mai-Woche stattfinden.
Zugleich räumte der Papst eigene schwerwiegende Fehler bei der Beurteilung der Situation ein. Dafür sei ein Mangel an wahrheitsgemäßen und ausgewogenen Informationen verantwortlich gewesen. Er bitte alle um Vergebung, die er "verletzt habe".