Christlich-Jüdischer Verein bekämpft Judenhass an Schulen

"Man wollte es nicht hören"

Antisemitische Beleidigungen gibt es auf Schulhöfen immer öfter. Umso wichtiger ist die Aufklärung und Bildungsarbeit. Dafür setzt sich die Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit ein. Das Problem sei nicht neu.

Davidstern / © Julia Steinbrecht (KNA)
Davidstern / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Seit Beginn des Krieges im Nahen Osten hat auch hier bei uns in Deutschland das antisemitische Diskriminierungspotential rapide zugenommen. Was glauben Sie, woher kommt dieser Antisemitismus an Schulen? War der schon immer da oder haben wir ihn nur nicht bemerkt?

Prof. Dr. Jürgen Wilhelm, Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. (Kölnische Gesellschaft)
Prof. Dr. Jürgen Wilhelm, Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. / ( Kölnische Gesellschaft )

Prof. Jürgen Wilhelm (Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit): Doch, der war schon da und wir haben oft darüber gesprochen. Er ist natürlich durch die Kriegsereignisse und den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober noch mal besonders virulent und auch durch die mediale Weiterverbreitung sehr präsent geworden.

Prof. Jürgen Wilhelm

"Da ist Ausbildung, Fortbildung und Wissen einfach dringend erforderlich."

Es wird so sein, dass bei den größeren Schülern, etwa Sekundarstufe zwei, viele Lehrerinnen und Lehrer gar nicht umhin können, in vielen Stunden auf das Thema einzugehen.

Vorher konnte man sich da drücken. 'Das war nicht Pflicht, das steht nicht auf dem Curriculum.' Aber jetzt wird das nicht mehr möglich sein und da ist dann Ausbildung, Fortbildung und Wissen einfach dringend erforderlich.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn für die Lehrkräfte sowas wie Handreichungen, damit die wissen, wie man damit umgehen muss und woran man erkennt, dass es sich um antisemitische Äußerungen handelt?

Schulunterricht / © Uli Deck (dpa)
Schulunterricht / © Uli Deck ( dpa )

Wilhelm: Die antisemitischen Äußerungen sind an sich jedem einigermaßen gebildeten Menschen heutzutage ganz gegenwärtig und da unterstelle ich einfach, dass das bei 99% der Pädagogen auch so ist.

Handreichungen gibt es. Es ist aber die Frage: Wie soll ich das zusätzlich zum Pensum, was ja im Curriculum vorgegeben ist, noch unterbringen?

Dazu haben wir nun eine Handreichung erstellt. Das hat auf - das muss ich kritisch sagen - Landesebene jahrelang nicht funktioniert, obwohl dort die Zuständigkeiten sind. Wir haben das nun in Eigenregie gemacht, aber natürlich mit fachlicher Begleitung von Universitäten und Pädagogen.

Wir bieten Kurse und Seminare an, wir haben auch Unterlagen, auch Internetangebote. Also wer will, kann sich recht konzentriert und kurzfristig auf das Thema einstellen und auch wirklich professionell einarbeiten. Da muss das Rad von den Pädagogen nicht neu erfunden werden.

DOMRADIO.DE: Kinder und Jugendliche transportieren das Gedankengut durchaus auch aus dem Elternhaus. Was hat man da in den letzten Jahren verpasst?

Prof. Jürgen Willhelm

"Man hat verpasst, das Thema anzusprechen."

Wilhelm: Na ja, man hat verpasst, das Thema anzusprechen. Von vielen ist es angesprochen worden, aber man wollte es nicht hören. Die Furcht stand im Raum, dass man glaubte, wenn man insbesondere muslimische Menschen in Deutschland ansprach, dass man sich dann als antimuslimisch verhalten würde. Das ist natürlich Unsinn.

Man muss die Menschen schon mit der Tatsache konfrontieren, dass wir insbesondere in Deutschland aufgrund unserer fürchterlichen Geschichte des 20. Jahrhunderts, dem Holocaust, eine Verantwortung haben. Den hat ja nicht irgendjemand verantwortet, sondern den haben Deutsche zu verantworten, und zwar massenweise. Zehntausende waren an diesem Holocaust, an der systematischen Ermordung der jüdischen Menschen Europas beteiligt.

Dass wir da in einem ganz besonderen kulturellen und auch politischen Verantwortung, gesellschaftlichen Verantwortung stehen. Da ist vielleicht nicht energisch genug vorangeschritten worden und man war eben selbst gehemmt. Diese Hemmungen sind einfach nicht richtig gewesen.

Jürgen Wilhelm

"Auch die Menschen muslimischen Glaubens müssen sich mit dem Thema auseinandersetzen."

Da muss es jetzt wirklich so sein, dass die Türen aufgerissen werden und auch die Menschen muslimischen Glaubens müssen sich mit dem Thema auseinandersetzen. Das heißt ja nicht, dass man ihnen eine Haltung oktroyiert, aber sie müssen zumindest die Fakten kennen, sie müssen wissen, in welchem Zusammenhang es gesehen wird und dass Antisemitismus in dieser Gesellschaft keinen Platz hat.

DOMRADIO.DE: Es gibt Schulen, die fahren zu den KZ-Gedenkstätten. Wie stehen Sie dazu?

Jugendliche in der Gedenkstätte Ausschwitz / © Stiftung Erinnern möglich
Jugendliche in der Gedenkstätte Ausschwitz / © Stiftung Erinnern möglich

Wilhelm: Ja, großartig! Die Fahrten nach Auschwitz werden zum Beispiel auch von der Bethe-Stiftung unterstützt - und zwar bundesweit, auch in Nordrhein-Westfalen.

Und das ist dringend erforderlich! Die sehr vielen Schülerinnen und Schüler, mit denen ich gesprochen haben, kommen doch mit anderen Eindrücken zurück als mit denen, mit denen sie hingefahren sind.

Das leichtfertige Schimpfwort "Du Jude!" kommt denen nicht über die Lippen.

DOMRADIO.DE: Das Projekt "Refl:act" soll die "Kölnische Gesellschaft für christlich jüdische Zusammenarbeit" fördern. Was passiert da genau?

Wilhelm: Die Workshops, die Weiterbildungsangebote einerseits für die Lehrer, das pädagogische Personal, andererseits aber auch für Studenten und auch Schüler und Schülerinnen. Selbstverständlich möchten wir fortsetzen und intensivieren. Das tun wir ja schon mit großem Erfolg.

Wir haben jetzt mehr als 100 Workshops durchgeführt und wollen das gerne verbreiten, nicht nur auf Köln konzentriert, sondern auch in der Region. Nachfragen und Anfragen haben wir genug. Aber dazu braucht man qualifiziertes Personal und dieses muss natürlich bezahlt werden. Dafür werden die Spenden benötigt.

DOMRADIO.DE: Und die Spenden, die kommen, werden dann noch verdoppelt ... 

Wilhelm: Die Familie Bethe, insbesondere Erich und Roswitha Bethe, sind bekannt dafür, dass sie zum Beispiel solche wichtigen Dinge und solche Anliegen, die wir vertreten, mit einer sogenannten Verdopplung der Aktion unterstützen.

Wenn Sie 50 Euro für diese Aktion spenden, dann werden daraus 100 Euro, weil Bethe sie schlichtweg verdoppelt. Und das bis zu einem Höchstbetrag von 3.000 Euro. Da kommen Gott sei Dank normalerweise schöne Beträge zustande, die wir dann für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als deren Honorar verwenden dürfen.

Das Interview führte Oliver Kelch.

Starke Zunahme von Antisemitismus an Schulen

Der Terror der Hamas in Israel heizt offenbar auch Konflikte auf deutschen Schulhöfen an. Seit dem Terrorkrieg der Hamassei an Schulen eine starke Zunahme von antisemitischen, israelfeindlichen und islamistischen Parolen zu beobachten, sagte die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, der Zeitung "Tagesspiegel". "Antisemitische Einstellungen und Verschwörungsmythen sind leider auch in muslimischen Communities weit verbreitet", so Ataman.

Die Publizistin Ferda Ataman nach ihrer Wahl zur Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung im Deutschen Bundestag. Ataman will Sonderregelungen für kirchliche Arbeitgeber einschränken. / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Die Publizistin Ferda Ataman nach ihrer Wahl zur Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung im Deutschen Bundestag. Ataman will Sonderregelungen für kirchliche Arbeitgeber einschränken. / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )
Quelle:
DR