Die Lebensmittel essen, die andere nicht kaufen wollen: "Containern" - das ist der Name dafür, wenn jemand ausrangierte Lebensmittel aus den Abfalltonnen von Supermärkten nimmt. Aus Überzeugung oder weil es sich die Menschen nicht leisten können, einfach einzukaufen, was sie wollen.
Mats Volles ernährte sich eine Weile lang komplett mit Essen aus Containern. "Ich habe in Norwegen ein Auslandssemester gemacht, und eine Freundin hat mich dort nach Ladenschluss zum Containern mitgenommen." In dem Land waren die Mülleimer von Supermärkten gut zugänglich und reichlich gefüllt. Der 26-Jährige hat dort nach eigenen Angaben fast nur containert. Die Kosten haben für ihn eine Rolle gespielt, weil Norwegen teuer ist, wie er sagt.
Aber auch in Deutschland machte er sich auf die Suche nach Essbarem, denn für Volles ist auch Nachhaltigkeit wichtig. "Ich habe auch in München containert, obwohl ich gut verdient habe. Wenn man an dem Container vorbei kommt und da liegen 50 Joghurts drin, dann nehme ich die mit." In der bayerischen Hauptstadt bot sich das Sammeln für ihn an, weil er zwischen zwei guten Supermärkten wohnte. "Ich habe ohne Bedenken alles mitgenommen, egal ob Fisch oder Fleisch." Selten hatte er ein komisches Gefühl und nie Probleme, wie er sagt.
Thema in der Politik lange nicht beachtet
Doch das verhindert der Lebensmittelhandel zum Schutz der Kunden zunehmend. "Auf solchen Produkten können sich sehr schnell und in großer Zahl Keime bilden, die Auslöser von Lebensmittelinfektionen oder Lebensmittelvergiftungen sein können", sagt Christian Böttcher vom Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels. Daher werden die Tonnen nun meist verschlossen.
Rund 550.000 Tonnen Lebensmittel wirft der Handel laut Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft weg, hinzu kommen noch mal 6,67 Millionen Tonnen, die in Privathaushalten im Müll landen. Wieso gibt es so viel Müll? "Das Thema Vermeidung von Abfall hat die Politik lange ignoriert, weil sich niemand dafür verantwortlich fühlt", sagt Hennig Wilts vom Wuppertal Institut Klima, Umwelt, Energie. Mit dem Wirtschaftswachstum steige auch der Abfall.
Waren an Bedarf anpassen
Jeder denkt, so lange er anständig den Müll sortiere, sei das in Ordnung. Das schlägt sich Wilts zufolge im Konsumverhalten nieder. Das Problem besteht seiner Ansicht nach jedoch bei der Vermeidung von Abfällen und nicht bei der Entsorgung. Die Schwierigkeit liegt also vor - und nicht nach dem Einkauf. Denn Deutschland hat den Angaben zufolge eine der besten Entsorgungs-Infrastrukturen der Welt.
Deutschland verfügt laut Wilts über kein ressourceneffizientes Lebensmittelsystem: "Das Problem ist, dass einige Menschen das gern gegessen hätten, was andere wegschmeißen. Gleichzeitig hungern Hunderte Millionen Menschen weltweit." Auch die Wirkung der Lebensmittelabfälle auf die Umwelt ist enorm, denn sie allein verursachen laut Umweltbundesamt wegen des Methans rund vier Prozent der Gesamtemissionen Deutschlands.
Der Lebensmitteleinzelhandel setzt bei der Vermeidung von Abfall auf Prognosesysteme. Eine gründliche, vorausschauende und an die Nachfrage angepasste Warenbedarfsplanung sei das wirksamste Mittel. Dazu zählen kürzere Bestellrhythmen, kleinere Bestellmengen oder die Kontrolle der Mindesthaltbarkeitsdatums-Restlaufzeiten bei Anlieferung, sagt Böttcher.
EU-Programm zur Abfallvermeidung
Containern aus Überzeugung oder weil das Geld für den Einkauf fehlt - illegal ist es trotzdem: "Menschen, die Lebensmittel aus Abfallcontainern holen und verzehren, gefährden dadurch nicht nur ihre Gesundheit, sondern begehen juristisch betrachtet auch Einbruchsdiebstahl", so Böttcher. Daher lehne der Verband das Containern ab.
Inzwischen gibt es ein verpflichtendes Programm zur Abfallvermeidung von der Europäischen Kommission. "Da stehen ganz viele tolle Ideen drin, aber nicht, wer verantwortlich ist oder ein konkretes Ziel", sagt Wilts. Als gutes Beispiel für einfache Lösungen nennt er Frankreich: Jeder Supermarkt, der über 400 Quadratmeter Fläche hat, muss einen Vertrag mit einer Lebensmittel-Tafel nachweisen. "Das ist eine super Idee, die nicht viel Geld kostet", so Wilts. Die Tafeln sammeln und verteilen übrig gebliebene Lebensmittel an Bedürftige.
"Mindestens haltbar... aber noch nicht schlecht"
Wilts sieht zudem das Haltbarkeitsdatum als einen Ansatzpunkt. "Man muss am Mindesthaltbarkeitsdatum oder an den Vorgaben für die Lebensmittelketten arbeiten und nicht so tun, als wäre es die Schuld des Verbrauchers, der die Sachen wegschmeißt."
Volles machte nie schlechte Erfahrungen mit dem Containern: "Es hat sich nie jemand beschwert, und wahrscheinlich hat das auch niemand gesehen, weil die Container immer in Höfen stehen." Auch in seiner aktuellen Heimat in Ostfriesland würde sich Volles auf die nächtliche Suche nach Essen machen. Das geht aber nicht: "Hier gibt es nur Supermärkte mit Müllpressen. Ich habe noch keinen Laden gefunden, wo die Tonnen draußen stehen oder keine Müllpressen installiert sind."
Maren Breitling