DOMRADIO.DE: Wie wird das Laubhüttenfest denn normalerweise gefeiert?
Dr. Andrei Kovacs (Leitender Geschäftsführer des Vereins "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland"): Normalerweise feiern wir das Laubhüttenfest – also Sukkot – innerhalb von sieben Tagen in der Familie oder auch in der Gemeinschaft. Denn die Idee ist es, zusammen unter der Laubhütte zu sitzen. Es wird eine Laubhütte aufgebaut und dekoriert – gemeinsam. Die ersten beiden Feiertage sind hohe Feiertage. Das heißt, dort darf nicht gearbeitet werden. Es darf gefeiert werden, aber es darf nur bedingt gearbeitet werden.
Ab dem dritten Tag wird dann richtig gefeiert. Es wird Musik gemacht, es wird getanzt, es wird gegessen, es wird sich unterhalten. Es wird gelacht. Gemeinschaftlich unter der Sukka möglichst viel Zeit verbringen: das ist die Idee dahinter.
DOMRADIO.DE: Wie wird das Ganze in "XXL" aussehen und bundesweit funktionieren?
Kovacs: Die Idee hinter "XXL" ist, dass wir das gemeinschaftlich feiern. Zu Sukkot erinnern wir ja nicht nur an den Auszug aus Ägypten und die Zeit danach: Die 40 Jahre Wanderung in der Wüste, in der dann auch Zelte aufgebaut worden sind, weswegen wir dann auch in den Himmel schauen müssen, um möglichst viel Zeit damit verbringen müssen, uns an die Zeit zu erinnern. Sondern es ist auch geboten, dass wir Menschen einladen und gemeinsam mit anderen Menschen feiern.
Die Grundidee ist, dass wir sagen: Wir bauen gemeinsam, wir schmücken gemeinsam Dinge, die wir alle gemeinsam haben, ob jüdisch oder nicht jüdisch. Und natürlich gibt es dann am Ende das Feiern, das Trinken, das Lachen und auch das Tanzen und das Musikmachen. Das ist eine Sache, da finden wir Wege zueinander. Es ist ein Fest der Begegnung, ein Kulturfest, bei dem wir die jüdische Perspektive zeigen, aber wo wir auch Brücken bauen und dafür sorgen, dass wir uns gegenseitig kennenlernen, Vorurteile abbauen und Verschwörungsmythen entgegenwirken, um den Antisemitismus damit zu bekämpfen.
DOMRADIO.DE: Warum ist es Ihnen wichtig, den nichtjüdischen Menschen diese Traditionen näherzubringen?
Kovacs: Es ist ein bisschen wie die Idee mit den Nachbarn. Um einen Nachbarn kennenzulernen, gibt es den einen Weg, den Lebenslauf zu studieren und ihn mit einem Fernglas zu beobachten. Wir glauben einfach, dass eine Empathiebildung wichtig ist. Das heißt, dass man den Nachbarn nicht nur so kennenlernt, dass man beobachtet und über ihn lernt, sondern auch gute und fröhliche Zeiten miteinander verlebt.
Deswegen glauben wir, es ist ein neuer Weg und ein Weg, den wir beschreiten wollen – mit dem Fest allgemein, aber gerade mit "Sukkot XXL" in ganz Deutschland, dann eben auch mit den 40 Sukkot, die wir austeilen, und auch mit den vielen Veranstaltungen, dass wir über diese Begegnung und über das Erleben eines Festes mehr erreichen können, als einfach nur voneinander zu lernen.
DOMRADIO.DE: Es geht also auch darum, dass Vorurteile abgebaut werden?
Kovacs: Richtig, Vorurteile sollen abgebaut und natürlich soll auch Verschwörungsmythen entgegengewirkt werden. Oft wird ja auch gesagt, es finden Dinge hinter verschlossenen Türen statt. Man weiß nicht genau, was es ist. Wir haben eine sehr starke Bewachung vor den Synagogen. Der jetzt gerade vereitelte Anschlag hat das noch einmal verstärkt. Man kann nicht durch die Tür schauen, man kann nicht durch die Fenster schauen. Man weiß nicht genau, was passiert.
Jetzt ist es wahrscheinlich eines der ersten Male, wo wir wirklich auch in den öffentlichen Raum gehen und sagen: Passt mal auf, wir sind nicht versteckt. Jüdisches Leben ist nicht versteckt, möchte nicht versteckt sein. Wir müssen es teilweise aus Sicherheitsgründen sein, aber eigentlich sind wir offen. Eigentlich möchten jüdische Menschen auch mit nichtjüdischen Menschen kommunizieren. Das wollen wir gesamtgesellschaftlich in diesem Fest zeigen.