DOMRADIO.DE: Wie funktioniert die Kältehilfe? Gehen Ihre Leute raus und verteilen warmes Essen und Decken? Oder kommen die Obdachlosen zu Ihnen?
Prof. Dr. Ulrike Kostka (Diözesan-Caritasdirektorin, Vorstandsvorsitzende des Caritasverbandes für das Erzbistum Berlin): Die obdachlosen Menschen können in Kältehilfe-Einrichtungen gehen. Das sind Nachtcafés und auch Kältehilfen, die jeden Tag aufhaben und sie können da übernachten. Es gibt aber auch einen Wärme- und einen Kälte-Bus, der unterwegs ist, um Leute aufzusuchen, die nicht in Räumen untergebracht werden können, weil sie das psychisch nicht aushalten. Es ist ein mobiles System, aber die Leute bekommen vor allen Dingen ein Dach über dem Kopf und natürlich Essen und Beratung.
DOMRADIO.DE: Sie haben vor 30 Jahren mit 400 Plätzen angefangen, jetzt in dieser Wintersaison planen Sie mit 1.100 Schlafplätzen. Warum ist der Bedarf so gestiegen?
Kostka: Der Bedarf ist so gestiegen, weil die Wohnungsnot zum Einen so extrem groß ist. Alleine in Berlin gibt es 6.000 bis 10.000 obdachlose Menschen und fast 40.000 Menschen, die wohnungslos sind. Außerdem kommen viele Menschen aus verschiedenen EU-Ländern nach Berlin – ähnlich wie in Köln –, weil sie in ihren Ländern von Armut betroffen sind und sich erhoffen hier Arbeit zu finden. Das funktioniert aber häufig nicht und dann landen auch sie auf der Straße.
DOMRADIO.DE: Ich nehme an, Ihnen wäre lieber, Sie bräuchten nicht so viele Plätze.
Kostka: Eindeutig! Es ist ein total schlechtes Signal, dass wir immer mehr Plätze brauchen. Auf der anderen Seite muss ich aber sagen, was wirklich in Berlin toll läuft, ist, dass hier die Regel gilt, dass jeder Mensch untergebracht werden soll. Es gibt Städte, die da sehr rigoros sind und Menschen, die vielleicht aus irgendwelchen Aufenthaltsgründen ihrer Meinung nach hier nicht sein sollten, da nicht unterbringen oder ihnen dort nur einen Stuhl geben. In Berlin soll wirklich jeder ein Bett bekommen.
DOMRADIO.DE: Sie haben die große Wohnungsnot angesprochen. Sehen Sie das hauptsächlich als Versäumnis der Politik?
Kostka: Ja, ich glaube, es ist schon ein Versäumnis der Politik gewesen, wobei natürlich auch keiner genau wissen konnte, dass Berlin so wachsen würde. Das kam sicherlich auch etwas überraschend, aber auf der anderen Seite war es ein großer Fehler, die städtischen Wohnungsbaugesellschaften zum großen Teil zu verkaufen. Das hat dazu geführt, dass zu wenige Wohnungen zur Verfügung standen und stehen. Man kann nicht so schnell neu bauen. Außerdem braucht Berlin bei manchen Dingen etwas länger.
DOMRADIO.DE: In vielen Metropolen steigen die Mieten immer weiter an. Normalverdiener finden kaum bezahlbaren Wohnraum. Arbeitslose und Geringverdiener haben gar keine Chance. Jetzt hat der Senat in Berlin Mietobergrenzen beschlossen, die schon Anfang nächsten Jahres gelten können. Ist das in Ihren Augen der richtige Weg?
Kostka: Grundsätzlich ist eine Mietensteuerung ein ganz wichtiges Ziel. Die Mieten dürfen nicht mehr weiter in der Weise ansteigen, weil dann sind sie tatsächlich auch für Menschen in der Mittelschicht unbezahlbar. Menschen, die sozusagen an der untersten Sprosse der Leiter stehen, wie zum Beispiel Obdachlose, haben dann gar keine Chance mehr.
Aber der Weg ist problematisch, weil dieser sogenannte Mietendeckel innerhalb von ganz kurzer Zeit durchgepeitscht werden soll. Es gibt gerade viel Streit auch darüber in der Koalition. Es könnte dazu führen, dass vielleicht kleine Vermieter, die nur ein bis vier Wohnungen haben, sagen, dann vermiete ich nicht mehr, wenn ich mir das nicht mehr leisten kann. Denn dieser Mietendeckel sieht auch vor, dass Investitionen nur im geringen Umfang berücksichtigt werden können. Das ist problematisch. Wir warnen davor, hier einem Aktionismus zu verfallen.
DOMRADIO.DE: Was fordern Sie?
Kostka: Wir fordern ganz dringend so weiterzumachen wie in der Wohnungslosenhilfe. In der Wohnungslosenhilfe haben wir es nämlich geschafft, mit dem Senat und den Wohlfahrtsverbänden eine nachhaltige Strategie zu entwickeln. Wir als Caritas der Kirche sehr gekämpft, dass man sich zusammensetzt und guckt, was macht man kurz, mittelfristig und langfristig. Das klappt gut.
So ist es eben auch im Wohnungsbau und bei der Mietenfrage extrem wichtig, nicht ein Instrument nach dem nächsten pro Woche sozusagen „über den Marktplatz zu tragen“, sondern wirklich in Ruhe die Instrumente zu entwickeln und natürlich auch den Neubau zu fördern. Dazu gehört es auch, dass Flächen zur Verfügung gestellt werden müssen, nicht nur an reiche Investoren, sondern zum Beispiel auch an Genossenschaften, an soziale Träger. Da sind wir als Kirche gefragt.
Das Gespräch führte Hilde Regeniter.