DOMRADIO.DE: In Ihrem Buch "Die Letzten hier - Köln im sozialen Lockdown" schreiben Sie auch über ein besonderes Angebot der Obdachlosenseelsorge hier in Köln, das Nachtcafé. Was hat es damit auf sich?
Christina Bacher (Chefredakteurin "Draussenseiter"): Das ist eine sehr beeindruckende Aktion, die seit mehr als zehn Jahren läuft. Die Franziskanerin Schwester Franziska hat die Idee damals aus Berlin mitgebracht und gesagt: Das müssen wir hier auch machen. Seitdem läuft es. Das ist ein großer ehrenamtlicher Stab, der jeden Abend im Winter in einer anderen Kirche die Räume öffnet.
Seit Corona werden sehr geordnet und auch ein bisschen limitiert Schlafplätze angeboten. Es werden Plastikwände zwischen den Übernachtungsmöglichkeit eingezogen. Angeboten wird auch ein leichtes Abendessen und ein Frühstück. Ich habe das so erlebt, dass es eine ganz besondere Atmosphäre ist, wenn abends die Leute eintrudeln, die einen harten Tag hinter sich haben.
Das wird von Gubbio, der katholischen Obdachlosenseelsorge in Köln, mitorganisiert. Für die Reportage im Buch habe ich daran teilgenommen und fand es wirklich richtig spürbar, wie die Menschen abends zur Ruhe gekommen sind, bevor sie geschlafen haben. Noch mal hier ein Gespräch, noch mal da ein liebes Wort. Zwar alles hinter diesen Plastikscheiben, aber so, wie man das vielleicht in der Familie abends erlebt, wenn man noch mal so ein bisschen über den Tag erzählt und dann gute Nacht sagt.
DOMRADIO.DE: Wie haben Sie, abgesehen von diesem Nachtcafé, kirchliche Fürsorge für Obdachlose in der Pandemie wahrgenommen?
Bacher: Von außen betrachtet wirkt Kirche wie ein großer Apparat. Aber wir hatten am Anfang der Pandemie festgestellt, dass es weniger Suppenküchen gibt und es ein Problem für die Obdachlosen war, Essen zu bekommen. Wir haben uns innerhalb von zwei Tagen zusammengesetzt und überlegt, wie man das lösen kann. Die Gubbio-Leute, Weihbischof Ansgar Puff oder unsere Streetworkerinnen waren mit dabei.
Wir haben dann relativ schnell Essensgutscheine in großen Mengen besorgt, damit die Leute in den Supermarkt gehen können. Kurze Zeit später gab es im Priesterseminar auch diesen Mittagstisch für Obdachlose. Ein schöner Raum mit Säulengang, der pandemiebedingt nicht genutzt wurde und wo die Menschen für eine halbe Stunde in aller Ruhe am Tisch sitzen konnten und leckeres Essen bekommen haben.
Das fand ich wirklich sehr beeindruckend, dass alle Einrichtungen in Köln in so kurzer Zeit das organisieren konnten, damit diese Situation für die Ärmsten der Armen nicht zum Fiasko wird.
DOMRADIO.DE: Wie ist der Stand der Dinge in Sachen Impfen für Obdachlose? Wie sieht es mit Boostern aus?
Bacher: Meine Erfahrung ist, dass die Streetworker und Streetworkerinnen sehr gute Arbeit geleistet haben, weil sie auch mehrsprachige Flyer verteilt haben und die Menschen über die Pandemie und das Impfen informiert haben. Sie haben versucht zu erklären, warum es wichtig ist, dass sich alle impfen lassen. Aber trotzdem gibt es auch unter den Obdachlosen Impfverweigerer.
Es gab groß angelegte Impfaktionen für Obadchlose in Köln, die sehr gut angenommen wurden. Die meisten sind mit Johnson&Johnson geimpft worden. Schwierig ist, sie zu finden. Sie müssen eigentlich freiwillig kommen und sagen, dass sie geboostert werden wolllen. Manche ziehen ja auch weiter und sind gar nicht mehr in Köln.
DOMRADIO.DE: Haben Obachlose einen Impfausweis?
Bacher: Einen Impfausweis haben sie. Den brauchen sie ja auch, wenn sie irgendwo reingehen wollen. Sie haben einen Ausweis, in dem "ohne festen Wohnsitz" vermerkt ist. Viele Menschen auf der Straße besitzen auch ein Handy. Sie sind wie alle genauso darauf angewiesen, an Informationen zu kommen und haben dann auch die Corona- oder die Impf-App.
DOMRADIO.DE: Hat sich für die Obdachlosen durch Corona auch etwas Gutes entwickelt?
Bacher: Ich kenne unter den Obdachlosen niemand, der sagt, für ihn habe sich in der Pandemie etwas zum Guten gewandt. Zum einen gibt es die Menschen, für die es keine große Änderung gab, weil sie einfach so alleine leben und so abgeschottet von der Gesellschaft sind, dass sie das vielleicht gar nicht als große Änderung wahrgenommen haben.
Zum andereren gibt es eben die, die so richtig aufgeschmissen und einsam waren. So wie für Egbert, der in dem Buch vorkommt und im letzten Jahr verstorben ist. Kurz vor seinem Tod hat er mir noch gesagt, für ihn sei es die schlimmste Zeit seines Lebens, weil er sich erstens als sehr einsam begreift, weil die Passanten nicht mehr da waren und zweitens auch als Opfer von großer Gewalt.
Er hat größerere Gewalt erfahren, als es vor der Pandemie der Fall war. Also Übergriffe auf der Platte, er kam mehrfach ins Krankenhaus. Da kann ich wirklich nichts Positives erzählen. Ich habe aber auch nicht mit jedem gesprochen. Wenn sich jemand auf der Platte verliebt hat, war das vielleicht auch eine schöne Zeit. Das darf man ja auch nicht vergessen, dass das Leben ja einfach weitergegangen ist.
Das Interview führte Hilde Regeniter.