Sie sind Überbleibsel der Pandemie: Auf zahlreichen öffentlichen Toiletten und in Eingangsbereichen so mancher Geschäfte finden sich Spender mit Desinfektionsmitteln. Die Infektionsmedizinerin Simone Scheithauer, Direktorin des Instituts für Hygiene und Infektiologie der Universitätsmedizin Göttingen, warnt allerdings vor einem übermäßigen Einsatz der Antiseptika. "Im Alltag reicht es völlig aus, sich die Hände mit Wasser und Seife zu waschen", sagt Scheithauer im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Der Medizinerin zufolge hat die Corona-Pandemie die Hemmschwelle, Desinfektionsmittel zu nutzen, gesenkt. Scheithauer, die auch Mitglied in der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert-Koch-Instituts ist, sieht das kritisch: "Wir haben es offenbar nicht geschafft zu kommunizieren, wo die eigentlichen Risiken liegen. Bei einer Corona-Infektion ist die kontaktfreie Übertragung wesentlich, da hilft auch kein Desinfektionsmittel."
Unerwünschte Nebenwirkungen
Wer im Haushalt und bei der Handhygiene zu viel Desinfektionsmittel gebrauche, schade eher der eigenen Gesundheit. Scheithauer rät etwa dringend davon ab, sich direkt nach dem Händewaschen die Hände zu desinfizieren. "Das sollte man auf gar keinen Fall tun." Die vom Händewaschen aufgequollene Haut sei anfällig für unerwünschte Wirkungen des Desinfektionsmittels und könne zum Beispiel austrocknen. Zudem verdünne sich das Mittel auf der noch feuchten Haut und verliere so an Wirkkraft.
Von einem übermäßigen Einsatz von Desinfektionsmitteln zur Reinigung im Haushalt rät die Medizinerin, die auch Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie ist, ebenfalls ab. Wer sein Zuhause ständig desinfiziere, sorge dafür, dass Bakterien tolerant oder resistent gegen diese Mittel würden. "Daraus können wiederum Antibiotikaresistenzen entstehen", warnt Scheithauer. Sinnvoll sei der Einsatz der antiseptischen Mittel nur dann, wenn etwa Familienangehörige, mit denen man zusammen lebe, an Magen-Darm-Infekten erkrankt seien oder wenn man jemanden im Krankenhaus besuche.
Nutzen in der Medizin
Aus dem Bereich der Medizin sei Desinfektionsmittel aber nicht mehr wegzudenken, erklärt Scheithauer. Dass eine gründliche Handhygiene zum Alltag in Krankenhäusern und Arztpraxen gehört, ist vor allem dem Wiener Arzt Ignaz Semmelweis (1818-1865) zu verdanken. In der Mitte des 19. Jahrhunderts verstarben viele Mütter nur wenige Wochen nach der Geburt am Kindbettfieber. Semmelweis stellte fest, dass das vor allem dann geschah, wenn die Geburtshelfer Ärzte waren, die vorher noch Obduktionen durchgeführt hatten.
Auf Stationen, auf denen hingegen Hebammen die Geburt begleiteten, war die Sterblichkeitsrate geringer. Semmelweis verordnete seinen Ärzten schließlich das Händewaschen mit Chlorkalk zur Desinfektion. Siehe da: Die Sterblichkeitsrate sank dramatisch.
Aktionstag seit 2008
Scheithauer zufolge muss Semmelweis in seinem Vorgehen "wenig charismatisch, leider indoktrinierend, dafür methodisch brillant" gewesen sein. Dass die Ärzte selbst Schuld haben sollten am Tod ihrer Patientinnen, empörte die Ärzte. So löste das Händewaschen und Desinfizieren zunächst einen medizinischen Skandal aus; es setzte sich erst im fortlaufenden 19. Jahrhundert als Standard durch. Einen Zusammenhang zwischen Hygiene und Infektionen hatten dabei auch schon andere Ärzte vermutet, etwa der schottische Geburtshelfer Alexander Gordon (1752-1799) sowie der amerikanische Arzt Oliver Wendell Holmes (1809-1894), wie Scheithauer berichtet.
Der weltweite Händewasch-Tag am 15. Oktober wurde 2008 von der Weltgesundheitsorganisation ins Leben gerufen. Er soll die Bedeutung des Händewaschens als Infektionsschutz und lebensrettende Maßnahme in den Mittelpunkt stellen.