George Harrisons Nerven waren bis zur letzten Minute angespannt, so berichtete er es später. Würde alles funktionieren bei dem beispiellosen Projekt im Madison Square Garden in New York, würden alle auf die Bühne kommen? Es ging am 1. August 1971 - vor 50 Jahren - um das erste große Benefizkonzert der Rockgeschichte. Beide Shows um 14 und um 20 Uhr waren mit 40.000 Besuchern ausverkauft.
Fieberhaft hatte der Ex-Beatle in kürzester Zeit Musikerfreunde zusammengetrommelt, um mit einem Konzert Geld für die Menschen in Ostpakistan zu sammeln, das im Dezember 1971 unter dem Namen Bangladesch seine Unabhängigkeit von Westpakistan erlangte.
An diesem Abend trat der "stille Beatle", der stets im Schatten seiner ehemaligen Bandkollegen stand, ins Licht der Weltöffentlichkeit. Er erhob die Stimme für die Menschen in Südostasien, die infolge des Bangladesch-Krieges und eines verheerenden Wirbelsturms unter einer schweren Hungersnot litten.
"Etwas Magisches geschah in einer einzigen Nacht"
Das Konzert wurde ein riesiger Erfolg. Es hatte, obwohl kaum geprobt worden war, großartige Momente. Die zusammengewürfelte Band aus Stars und Studiomusikern, der Chor und eine Bläsergruppe gaben unter der Leitung von Harrison ihr Bestes. Der Ticketverkauf, ein Dreifach-Live-Album und ein Konzertfilm brachten eine zweistellige Millionen-US-Dollar-Summe für die Arbeit des Kinderhilfwerks der Vereinten Nationen, Unicef.
"Etwas Magisches geschah in einer einzigen Nacht, plötzlich wurde der Name Bangladesch in der ganzen Welt bekannt", erinnerte sich der indische Musiker Ravi Shankar (1920-2012), der die Idee zu der Benefizaktion hatte. Erschüttert vom Leid hunderttausender Flüchtlinge fragte er seinen Freund Harrison, ob der nicht helfen könne.
Gemeinsam organisierten sie in nur zwei Monaten das Konzert. Mit dabei waren zahlreiche Freunde Harrisons, die auf ihre Gage verzichteten, darunter der "Beatles"-Schlagzeuger Ringo Starr, der Gitarrist Eric Clapton - und auch der Sänger und Songschreiber Bob Dylan. "George Harrison & Friends" hieß das Konzert, erst im Nachhinein wurde es zum "Concert for Bangladesh".
Blaupause für folgende Benefizkonzerte
Vergleichbares hatte es bisher nicht gegeben. "Damals wurde der Rock'n'Roll erwachsen und übernahm ein bisschen Verantwortung", urteilte das Magazin "Rolling Stone". Das "Concert for Bangladesh" gilt als Blaupause für folgende Benefizkonzerte wie "Live Aid" angesichts der Hungersnot in Äthiopien (1985), "Farm Aid" für notleitende Bauern in den USA (1985), gegen die Apartheid in Südafrika ("Nelson Mandela 70th Birthday Tribute Concert", 1988) oder für die Aidshilfe ("The Freddie Mercury Tribute Concert", 1992).
Bis heute sammelt die Familienstiftung des 2001 an Krebs gestorbenen früheren "Beatles"-Gitarristen Geld für Kinder und ihre Familien in Not. Der "George Harrison Fund for Unicef" engagiert sich aktuell etwa für bedrohte Rohingya-Flüchtlinge aus Myanmar.
Menschen in Not zu helfen, sei für viele Musikerinnen und Musiker eine Herzenssache und kein Feigenblatt zur Eigenwerbung, betont Udo Dahmen, Geschäftsführer der Popakademie Baden-Württemberg in Mannheim. Gerade jüngere Musikerinnen und Musiker machten sich heute stark für die Schwächeren in der Gesellschaft, für Vielfältigkeit und ein nachhaltiges Leben.
Idealismus der Hippies blitzte auf
Für die Fans war der Abend in New York mit den Stars der damaligen Rockmusik ein Fest: Noch einmal blitzte der Idealismus der Hippies der 1960er Jahre auf - die Überzeugung, dass man gemeinsam die Welt verändern könne. Mit traditioneller indischer Musik eröffnete eine Gruppe um Ravi Shankar das Konzert. Die Halle kochte, als Bob Dylan als Überraschungsgast mit Akustikgitarre und Mundharmonika auf die Bühne kam. Der Auftritt, so heißt es, habe den ins Privatleben abgetauchten Künstler dazu gebracht, wieder auf Tour zu gehen.
Bei allem ehrlichen Enthusiasmus der beteiligten Musiker geriet jedoch auch das "Concert for Bangladesh" danach in den Strudel finanzieller Interessen von Managern und Schallplattenfirmen: Die Veröffentlichung des Live-Albums und des Konzertfilms verzögerten sich, wegen steuerlicher Probleme flossen die Hilfsgelder erst später.
Später hätten andere wie "Live Aid"-Organisator Bob Geldof aus den Fehlern gelernt, sagt Musikexperte Dahmen. Er ist überzeugt: "Sogenannte Charity-Events werden uns auch in Zukunft begleiten." Den Boden dafür bereiteten die Musiker um George Harrison an jenem Augusttag in New York.
Von Alexander Lang