UNICEF verurteilt Instrumentalisierung von Kindern bei Corona-Demo

"Das kann so nicht hingenommen werden"

Demonstranten hatten am Mittwoch in Berlin offenbar gezielt Kinder mitgebracht, um die Polizei an einem harten Eingreifen zu hindern, wenn Auflagen nicht umgesetzt werden. UNICEF nennt das eine "Instrumentalisierung" von Kindern.

Demonstration gegen Corona-Einschränkungen / © Paul Zinken (dpa)
Demonstration gegen Corona-Einschränkungen / © Paul Zinken ( dpa )

DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns kurz die Situation vom Mittwoch nochmal aufgreifen. Die Berliner Polizei hatte die Demo aufgelöst und wollte die Menschen auseinander bringen, auch mithilfe eines Wasserwerfers. Doch das ging nur sehr vorsichtig, weil einige Demonstranten ihre Kinder mitgebracht hatten und sie als eine Art Schutzschild einsetzten. Was sagen Sie dazu?

Rudi Tarneden (Pressesprecher des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen, UNICEF): Die Corona-Pandemie hat natürlich unser ganzes Leben ziemlich auf den Kopf gestellt. Es ist klar, dass sehr viel Unsicherheit und auch Aufregung da ist, und dass auch die Maßnahmen, jetzt nach neun Monaten, in aller Öffentlichkeit sehr genau begründet und diskutiert werden. Ich glaube, das wird in Deutschland außerordentlich sorgfältig und auch in aller Offenheit getan. Was dabei passiert ist, ist eigentlich ein ziemlich durchsichtiger Versuch, nämlich Kinder für politische Zwecke zu benutzen. Und das muss ich ganz klar sagen: als UNICEF lehnen wir eine solche Instrumentalisierung von Kindern in aller Deutlichkeit ab. Es hat auch andere Vorfälle gegeben, dass vor Schulen aufgerufen wurde, dass die Kinder keine Masken tragen sollten. Und wenn so etwas bemerkt wird, dann muss man dagegen vorgehen. Jemand, der so etwas hört, da sollten die Eltern direkt den Lehrern, den Behörden Bescheid sagen. Da muss man darauf zugehen. Das kann so nicht hingenommen werden.

DOMRADIO.DE: Gibt's noch eine andere Möglichkeiten diese Instrumentalisierung der Kinder zu stoppen?

Tarneden: Ich glaube, das Wichtigste ist, mit den Kindern zu reden und sie ernst zu nehmen. Wir dürfen nicht unterschätzen, dass Kinder und Jugendliche ja sehr genau mitkriegen, was um sie herum passiert. Das ist eigentlich ein Problem hier in Deutschland, dass bei all den Maßnahmen, die gegen die Corona-Pandemie getroffen worden sind, die Kinder selbst nicht gefragt wurden oder sehr selten gefragt wurden. Und ich glaube, es gibt eine hohe Einsichtsfähigkeit. Man kann gerade bei der Gruppe, die ja auch akut von den Infektionen stärker betroffen sind, nämlich den älteren Kindern und Jugendlichen, sehr wohl den Dialog suchen und die mitnehmen. Wenn man das schafft, dann sind solche Aktionen einfach nur Einzelfälle.

DOMRADIO.DE: Stichwort Kinderrechte: Welche konkreten Rechte der Kinder gehen im Moment unter in dieser Corona-Pandemie bei uns?

Tarneden: Die Pandemie betrifft Kinder auf ganz vielfältige Weise. Es ist so, dass glücklicherweise die gesundheitlichen Symptome von Kindern, bis auf Einzelfälle, vergleichsweise mild verlaufen. Aber die Sekundärfolgen sind wirklich gravierend. Die Pandemie trifft natürlich besonders stark die Familien, denen es vorher schon nicht besonders gut ging. Das heißt, es gibt Familien, die Einkommenseinbußen hinnehmen, zum Beispiel Familien, die schon vorher Mini-Jobber waren oder ungesicherte Jobs hatten.

Die Schulschließungen wirken sich auf die Familien gravierend aus, die Kontaktbeschränkungen und die Isolation erhöhen auch Stress in den Familien. Also all das sind Faktoren, die wirklich gravierend auf das Leben von Kindern Einfluss nehmen. Deswegen ist es jetzt sehr wichtig, in dieser Phase, wo wir wissen, dass wir im nächsten Jahr wahrscheinlich noch eine ganze Weile mit dieser Krise leben müssen, dass jetzt intensiv auf die Kinder geachtet wird. Alle Entscheidungen müssen daraufhin überprüft werden, welche Folgen sie für Kinder haben. Vor diesem Hintergrund sind wir auch sehr dafür, dass zum Beispiel die Bundesregierung alles daran setzt, die Schulschließungen vom Frühjahr nicht zu wiederholen.

DOMRADIO.DE: Jetzt heißt es im Grundgesetz, im Artikel 6, Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Reicht das so nicht aus?

Tarneden: Wir sind der Meinung, dass den Kinderrechten in Deutschland Nachdruck verliehen werden soll. Deswegen setzt sich UNICEF zusammen mit vielen Partnern schon seit Jahren für die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz ein. Das wäre ein sehr wichtiges Signal. Der Koalitionsvertrag, der jetzt bald ausläuft, der sieht genau das vor. Und hier gibt es leider immer noch wenig und viel zu wenig Bewegung.

DOMRADIO.DE: Jetzt schauen wir heute ganz besonders auf die Kinder, weil eben heute dieser Tag der Kinderrechte ist. Bringen denn solche Aktionstage überhaupt etwas oder ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Tarneden: Ich bin der Meinung, dass jede Gelegenheit, auf die Situation von Kindern hinzuweisen, wichtig ist und auch Sinn macht. Wir erleben es auch, dass viele Menschen plötzlich gemerkt haben: Diese Krise betrifft eben alle. Die Familien haben es hautnah gespürt, dass wir plötzlich Teil einer globalen Krise sind. Und es ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, wo wir hier auf die Situation von Kindern erneut aufmerksam machen und, glaube ich, auch Gehör finden.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Rudi Tarneden / © UNI282009/Chiolo (Unicef)
Rudi Tarneden / © UNI282009/Chiolo ( Unicef )
Quelle:
DR