Patriarch fordert neue libanesische Regierung vor 4. August

Das Land versinkt in Armut und Chaos

Der maronitische Patriarch Kardinal Bechara Rai hat bei der Sonntagsmesse die Politiker des Libanon aufgefordert, bis 4. August eine neue Regierung zu bilden. An diesem Tag jährt sich die verheerende Explosion in Beirut.

Schiffswracks und ein zerstörtes Silo im Hafen von Beirut, in dem es am 4. August 2020 zu einer gewaltigen Explosion kam / © Marwan Naamani (dpa)
Schiffswracks und ein zerstörtes Silo im Hafen von Beirut, in dem es am 4. August 2020 zu einer gewaltigen Explosion kam / © Marwan Naamani ( dpa )

Die am Montag im Präsidentenpalast von Baabda beginnende Parlamentarische Konsultation solle zügig und ohne das übliche Feilschen um Vorrechte einzelner Personen oder Gruppen erfolgen, sagte Rai bei der Sonntagsmesse an seinem Sommersitz Dimane.

Solche Debatten seien deplatziert, "während das Land in Armut und Chaos versinkt und seine Institutionen bedroht sind", so der Kirchenführer. "Was nützt es, die Rechte einzelner Gemeinschaften zu verteidigen? Kommt der Libanon nicht zuerst?" - Als Oberhaupt der größten christlichen Gemeinschaft im Land nimmt Rai auch eine einflussreiche Rolle in Gesellschaft und Politik wahr.

Rai kritisiert Verzögerung bei Aufarbeitung der Katastrophe

Mit Nachdruck verurteilte der Patriarch die juristischen Winkelzüge und die Hinhaltetaktik bei der Aufarbeitung der Katastrophe, bei der im Hafen der Hauptstadt rund 200 Menschen getötet und 6.500 verletzt worden waren. Wenn die Politiker der Bevölkerung schon nicht die Wahrheit sagten, sollten sie ihr zumindest eine neue Regierung geben.

Er hoffe, so der Patriarch, dass die parlamentarische Konsultation unter Leitung von Präsident Michel Aoun rasch zur Ernennung einer "reformoffenen nationalen Persönlichkeit führt, die das Vertrauen der Bevölkerung genießt". Das Volk sei "auf der Suche nach echten Veränderungen" und habe dafür "die Zustimmung der arabischen und internationalen Gemeinschaft".

Libanon erlebt Wirtschafts- und Finanzkrise

Medienberichten zufolge hat der Ex-Ministerpräsident und Milliardär Najib Mikati aufgrund der Unterstützung mehrerer Gruppen die besten Aussichten, vom Präsidenten mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden. Seit Hassan Diab nach der Explosion vom 4. August 2020 als Ministerpräsident zurücktrat, war das Land praktisch ohne Exekutive. Vor sechs Wochen trat auch der designierte Kandidat Saad Hariri zurück, was die Regierungskrise drastisch verschärfte.

Wichtigste Aufgabe einer neuen Regierung dürfte Medienberichten zufolge sein, Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds IWF über ein Hilfspaket aufzunehmen und die an Reformen gebundenen Finanzzusagen der internationalen Gemeinschaft zu erhalten. Der Libanon erlebt derzeit die schlimmste Wirtschafts- und Finanzkrise seiner neueren Geschichte mit einem Absturz des libanesischen Pfunds und einer Hyperinflation. Diese lösten eine Knappheit von Strom, Medikamenten und Treibstoffen aus und trieben die Verarmung der Bevölkerung dramatisch voran.


Kardinal Bechara Boutros Rai / © Paul Haring (KNA)
Kardinal Bechara Boutros Rai / © Paul Haring ( KNA )
Quelle:
KNA