Das Martinsjahr 2016 hat eine europäische Dynamik geschaffen

Neues vom Heiligen Martin

Sankt Martin scheint wieder auf dem Vormarsch. Brauchtum lebt neu auf oder wird als Kulturerbe eingetragen; der Ausbau der Europäischen Martinswege und der 1.700. Geburtstag des Heiligen 2016 haben neue Impulse gegeben.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Statue des Heiligen Martin / © Harald Oppitz (KNA)
Statue des Heiligen Martin / © Harald Oppitz ( KNA )

In Frankreich ist das Erbe eines seiner größten Bischöfe über die Jahrhunderte in Vergessenheit geraten. Selbst in seiner Bischofsstadt Tours wird der durch Religionskriege und Französische Revolution zerrissene Faden gerade erst neu aufgenommen. In den vergangenen Jahren erlebt das Brauchtum um den heiligen Martin (316-397) nun eine gewisse Renaissance. Zu teilen, wie einst Martin seinen Soldatenmantel mit dem armen Bettler teilte - das soll nach dem Willen von Antoine Selosse, Leiter des Europäischen Kulturzentrums Saint Martin de Tours, wieder ein allgemein bekanntes Handlungsprinzip werden. "Solidarität" also, modern gesprochen.

Die in Tours ansässige Organisation arbeitet eng mit Martinsinitiativen in anderen europäischen Ländern zusammen, bündelt Aktivitäten und fördert gemeinsame Ziele. Das Festjahr zum 1.700. Geburtstag des Heiligen, das 2016 in mehreren Ländern - etwa Frankreich, Deutschland und sein Geburtsland, das heutige Ungarn - gefeiert wurde, habe dafür viele neue Impulse und Dynamiken gebracht, berichtet Selosse der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Eine kleine Geste, aber von hohem symbolischem Wert, ist etwa eine Spendensammlung für den Bau einer Martinsschule auf der Karibikinsel Saint-Martin, die von der jüngsten Hurrikan-Serie zerstört wurde.

Beteiligt sind neben der Trommelgruppe Pan'nCo aus Tours auch die Martinssektion aus dem niederländischen Utrecht. Die Antillen-Insel Saint-Martin ist als Überseegebiet seit 1648 zwischen Frankreich und den Niederlanden geteilt. Entdeckt wurde sie übrigens am Martinstag 1493 - von Christoph Kolumbus.

Martinsparade und Martinswege

Ein Höhepunkt des Martinsjahres 2016 war eine europäische Martinsparade in Tours, ein Umzug internationaler Martinsgruppen mit Teilnehmern aus den elf Sektionen Slowenien, Lombardei, Venetien (beide Italien), Korsika (Frankreich), Kroatien, Ungarn, Niederlande, Deutschland, Belgien/Flandern, Luxemburg und Slowakei. Sie fand so großen Anklang, dass im Juli 2017 schon die zweite Auflage stattfand, mit 350 Teilnehmern, etwa auch aus Österreich, Tschechien und Spanien. Die Parade 2018 - dann schon eine Tradition -, ist für den 30. Juni vorgesehen.

Die französischen Martinswege erfahren 2017 und 2018 einige Erweiterungen. So heißt ein Wanderweg von Nantes nach Tours nun "Die Loire zu Fuß entlang dem Weg des heiligen Martin"; ein weiterer erhält nach der Gründung von Sankt Martin den Namen: "Der Weg von Liguge, erstes Kloster des Westens". Auch auf Korsika wurde im Juni ein Zweig der Europäischen Martinswege eingeweiht, der von Norden bis Süden quer über die Insel verläuft. Nicht weniger als 110 korsische Orte tragen den Namen des heiligen Martin.

Mehrere Martinswanderer absolvierten teils spektakuläre Strecken bis zu 2.500 Kilometer. Der verrückteste war aber wohl der niederländische Musiker Tjerk Ridder, der im Sommer über zwei Monate eine "Kulturpilgerreise" vom Pariser Martinsviertel bis zur Martinskathedrale von Utrecht machte - zusammen mit seinem treuen Esel Lodewijk. Am Ziel wurden die beiden von Utrechts Bürgermeister Jan van Zanen empfangen.

Erste Martinskapelle des 21. Jahrhunderts

Am Martinstag selbst, dem 11. November, wird in Tours die erste Martinskapelle des 21. Jahrhunderts geweiht. Erzbischof Bernard-Nicolas Aubertin gibt dem Werk des renommierten Architekten Jean-Marie Duthilleul seinen Segen. Die Kapelle mit hölzernem Dachstuhl und einer 20 Meter hohen Holzspitze bietet künftig Raum für bis zu 500 Menschen.

Antoine Selosse, dem Event-Manager vom Europäischen Martinszentrum, gehen unterdessen die Ideen nicht aus, um das geistige Erbe des Heiligen weiterzuverbreiten. Allein in Frankreich tragen 220 Städte und Gemeinden den Namen von Sankt Martin. Im Spätmittelalter soll es landesweit mehr als 3.600 Martinskirchen gegeben haben.

Auf einer "Tour de France" mit dem Elektroauto will Selosse die schönsten und engagiertesten Martinskirchen und -gemeinden des Landes finden, um sie dann für 2020 als "France nach Tours" einzuladen - um ihnen "ihr Kulturerbe zurückzugeben", aber natürlich auch, um Martinsrezepte und -spezialitäten miteinander zu teilen. Aufladen, einladen, teilen; die Begriffe fallen immer wieder, wenn die Martinsmänner aus Europa miteinander sprechen.

Vor 2020 steht aber noch ein weiteres Großprojekt an. Seit 1918 ist der Martinstag (11. November) in Frankreich staatlicher Feiertag; an diesem Tag um elf Uhr trat der Waffenstillstand des Ersten Weltkriegs in Kraft. Diese Überlagerung war ein echter Sargnagel für die traditionelle Martinsverehrung - denn fortan standen die Kriegsveteranen im Fokus der Franzosen und nicht mehr der Volksheilige.

Der Europäer Martin

Doch Selosse hat für diese historische Schere schon einen ziemlich guten Plan: Der 11. November 2018, also der 100. Jahrestag des Waffenstillstands, fällt ausgerechnet auf einen Sonntag. An diesem Tag, so hofft er, sollen die Elf-Uhr-Glocken wieder für den Europäer Martin läuten - und nicht mehr nur für die alten Kameraden. Für diese Initiative träumt Selosse nicht nur von einem Friedenskonzert, das ein europäisches Jugendorchester im EU-Parlament in Straßburg spielen könnte. Er möchte auch elf symbolträchtige Martinsorte für gemeinsame Aktionen zusammenbringen.

Die Martinskathedrale im belgischen Ypern etwa, im Ersten Weltkrieg vollständig zerstört. Oder der französische Martinsort Chaumont-devant-Damvillers, wo am 11. November 1918 um 10.59 Uhr der letzte Soldat des Krieges starb, der US-Amerikaner Henry Gunther.

Oder der Ardennen-Martinsort Dom-le-Mesnil bei Sedan an der Maas, wo das erste Te Deum nach dem Läuten des Waffenstillstands gesungen wurde; die Martinskathedrale in Mainz; oder die Stadt Worms, wo der heilige Martin einst die römische Armee verließ. Die Suche für die elf Orte der "Martinsbotschaft 11. November" ist noch nicht abgeschlossen.

Sankt Martin, Bischof von Tours

Die nach dem heiligen Martin von Tours benannten Umzüge rund um den 11. November erinnern an die Legende, nach der Martin seinen Mantel mit einem frierenden Bettler teilte. Martin wurde wohl 316/17 in der Stadt Sabaria geboren, dem im heutigen Ungarn gelegenen Szombathely (Steinamanger). Der Sohn eines römischen Tribuns trat auf Wunsch seines Vaters in die Armee ein. Nach seiner Bekehrung ließ sich Martin mit 18 Jahren taufen, quittierte den Militärdienst und wurde Eremit.

Sankt Martin / © jorisvo (shutterstock)
Quelle:
KNA