DOMRADIO.DE: Sie sind hier in Rom, aber sind Sie auch Teil der Weltsynode?
Johannes Norpoth (Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz): Das ist ein grundsätzliches Problem. Zur Weltsynode sind keine Betroffenen geladen. Man kann davon ausgehen, dass in der Synodenaula Betroffene sexualisierter Gewalt im Raum der Kirche sitzen. Das ist ein rein statistischer Wert.
Aber als separate Gruppe, die zu dieser Weltkirche gehört, sind Betroffene schlicht und ergreifend nicht eingeladen und damit in den Diskussionen nicht existent. Das finde ich nach allem, was wir wissen zum Thema Missbrauch in der Kirche und in der heutigen Situation, schlicht und ergreifend schlecht.
DOMRADIO.DE: Glauben Sie denn, dass auf weltkirchlicher Ebene die Notwendigkeit für Reformen erkannt wurde?
Norpoth: Das ist schwierig zu beurteilen. Dafür gibt es für Betroffene wenig Gesprächspartner. Ich glaube aber, dass ein wesentlicher Teil der deutschen Delegation das so sieht und mittlerweile die Ergebnisse der MHG-Studie akzeptiert, die systemische Ursachen für den Missbrauch nachweist und belegt. Insofern gehe ich davon aus, dass die deutsche Delegation dieses Thema in die Debatten mit einbringt. Ob das auf breiten weltkirchlichen Widerhall stößt, insbesondere beim Klerus, wage ich zu bezweifeln.
DOMRADIO.DE: Was müsste Ihrer Ansicht nach getan werden, damit die Stimme der Betroffenen auch hier gehört wird?
Norpoth: Sie einladen und reden lassen! Das ist es eigentlich schon. Die Weltbischofssynode wäre eine gute Ebene und für Franziskus eine gute Möglichkeit gewesen, um noch mal sehr deutlich zu betonen, wie wichtig ihm die Rolle Betroffener für die weitere Entwicklung unserer Kirche ist.
Darum geht es in dieser Synode: miteinander ins Gespräch zu kommen und - ich sag mal so - Synodalität für die Zukunft neu zu definieren und in die Strukturen unserer Kirche zu implementieren. Wenn dort die Stimme der Betroffenen fehlt, fehlt eine wesentliche Säule jeglicher Veränderungsprozesse in unserer Kirche in den nächsten Jahrzehnten.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie vor den Delegierten der Weltbischofssynode eine Minute Redezeit hätten, welchen Punkt würden Sie den Delegierten mit auf den Weg geben?
Norpoth: Anerkennung der Betroffenen als Wirklichkeit; Anerkennung systemischer Ursachen als Wirklichkeit der Kirchengeschichte; Anerkennung der Tatsache, dass selbst heute immer noch im Raum der Kirche sexualisierte Gewalt passiert; Anerkennung der Notwendigkeiten zu Intervention, Prävention, schonungsloser Aufklärung und Aufarbeitung und Anerkennung des Rechts der Opfer auf eine Entschädigung.
Und zwar eine wirkliche Entschädigung, nicht nur Almosenleistungen, wie wir sie aus Deutschland kennen bis hin zur Verweigerung von Anerkennungsleistungen im internationalen Kontext. Auch das ist Realität heute: Bischofskonferenzen verweigern Betroffenen sexualisierter Gewalt im Raum der Kirche Anerkennungsleistung und Schadensersatz.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie auf die Situation der Kirche in Deutschland auch im Verhältnis zur internationalen Situation schauen, wie sind wir in Deutschland aufgestellt?
Norpoth: Ich glaube, wir sind in dieser Fragestellung tatsächlich deutlich besser aufgestellt als viele andere internationale Organisationen, auch als viele andere Organisationen im deutschen Kontext. Ich denke da an das Vereinswesen im Allgemeinen und den Sport im Speziellen.
Trotzdem glaube ich, dass wir noch einen sehr weiten Weg vor uns haben. Wir sind erst am Anfang, was Fragen von Aufarbeitung angeht. Wenn man sich die Diskussion der letzten Wochen in der Causa Hengsbach anschaut, stellt man fest, wie oberflächlich noch bis vor wenigen Jahren mit dem Thema umgegangen wurde. Es muss schneller, muss genauer, muss detailtiefer aufgearbeitet werden. Es muss für jeden Betroffenen sexualisierter Gewalt ein Recht auf individuelle Aufarbeitung geben, egal wo.
Da könnte Kirche ein wirklicher Vorreiter sein und ein Beispiel für die gesamte Gesellschaft. Missbrauch ist und bleibt kein exklusiv katholisches Thema. Es hat spezifische Ursachen, insbesondere im katholischen Bereich, aber was die Aufarbeitung, was die Überwindung des Missbrauchs angeht, könnte katholische Kirche einen Impuls geben und ein Vorbild innerhalb der gesellschaftlichen Diskussion sein.
So wie sich Verantwortungsträger in der Kirche sowohl national wie international verhalten, ist das leider nicht so. Da wird ständig eine gute Chance für eine gute weitere Entwicklung vertan.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.