DOMRADIO.DE: Das Abkommen mit dem UNHCR, dem UN-Flüchtlingswerk, soll einen "globalen Rahmen für Zusammenarbeit" schaffen. Wie wollen Sie das anstellen?
Pfarrer Dr. Matthias Leineweber (geistlicher Begleiter der Gemeinschaft Sant'Egidio): Das Abkommen beruht auf dem Projekt der "Humanitären Korridore", dass die Gemeinschaft Sant'Egidio 2016 eingerichtet hat. Da geht es darum Flüchtlingen, die zwar in Lagern in Drittländern untergekommen sind, aber in schwierigen Situationen leben, eine sichere und legale Einreise nach Europa zu ermöglichen. Dort können sie dann einen Asylantrag stellen. Unser Fokus liegt auf besonders schutzbedürftigen Personen, z.B. Opfern von Verfolgung und Gewalt, aber auch Familien mit Kindern, alten oder kranken Menschen.
Die Zusammenarbeit mit dem UNHCR ist uns dabei natürlich ganz wichtig. Zum einen weil dort der Flüchtlingsstatus zuerkannt wird. Zum anderen, um miteinander zu schauen, wo die bedürftigen Flüchtlinge sind und wie man diese Zusammenarbeit institutionalisieren kann, nachdem sie sich in den lezten fünf Jahren bewährt hat.
DOMRADIO.DE: Wie kann der UNHCR da konkret unterstützen?
Leineweber: Der UNHCR ist zuständig für die Registrierung der Flüchtlinge überall auf der Welt. Zum Beispiel auch in Äthiopien, wo Sant'Egidio auch tätig ist. Dort sind sehr viele Flüchtlinge in großen Lagern aus dem Südsudan, Somalia oder auch aus Eritrea. Die haben dort natürlich wenige Aussichten. Oft herrscht zudem eine sehr prekäre Versorgungslage. Manche haben medizinische Probleme. Da sind traumatisierte Flüchtlinge, alleinstehende Frauen mit Kindern.
Es gibt dafür sogenannte Resettlement-Programme. Sant'Egidio unterstützt diese Programme durch ein neues Projekt, das mit der Zivilgesellschaft in europäischen Ländern zusammenarbeitet. Es gibt dieses Abkommen mit den Staaten, die humanitäre Visa ausstellen. Der UNHCR und Sant'Egidio möchten da zusammenarbeiten, um diese Möglichkeit zu auszuweiten, um legale Zuwanderung nach Europa zu ermöglichen und dem Schlepper-Unwesen im Mittelmeer oder zwischen der Türkei und Griechenland einen Riegel vorzuschieben.
DOMRADIO.DE: Das heißt Sant'Egidio und der UNHCR unterstützen sich gegenseitig?
Leineweber: Ganz genau. Also es ist ganz wichtig, dass wir in diesem Sektor zusammenarbeiten. Wir haben gemerkt, dass es auch eine komplementäre Zusammenarbeit ist, weil Sant'Egidio eine schnellere Einreise ermöglichen kann, als es bei dem Verfahren vom UNHCR häufig der Fall ist. Von daher ist eine gute Absprache und Zusammenarbeit unheimlich wichtig.
DOMRADIO.DE: Viele Staaten bremsen beim Thema illegale Einreise und Verteilung von Flüchtlingen, auch in der EU. Haben Sie Sorge, dass die Vereinten Nationen oder der UNHCR auch bremsen könnten?
Leineweber: Das glaube ich nicht. Es sind gerade solche bewährten Projekte, die dieser Angst vorbeugen wollen. Wenn wir eine kontrollierte legale Migration und Zuwanderung haben, wo auch die Bürger mitgehen, nimmt das manchen Staaten hoffentlich die Bedenken. Das belegen die humanitären Korridore auch, weil in Italien, Frankreich oder Belgien Bürger vor Ort sind, die bei der Integration mithelfen. Dann ist es für die ankommenden Flüchtlinge leichter, in der neuen Gesellschaft anzukommen.
Wir hoffen, dass die neue deutsche Bundesregierung bei den humanitären Korridoren mitmacht. Sie hat im Koalitionsvertrag erwähnt, dass sie humanitäre Visa ermöglichen will, also eine reguläre Migration. Das ist unsere große Hoffnung, dass mehr Länder dieses Projekt umsetzen und dann auch eine Vorbildfunktion für die ganze EU haben.
DOMRADIO.DE: Jetzt ist dieses Abkommen unterzeichnet worden. Was sind die konkreten nächsten Schritte?
Leineweber: Die nächsten Schritte sind weiterzuarbeiten und neue humanitäre Korridore einzurichten. Wir haben gerade einen Vertrag unterzeichnet mit Italien, dass Flüchtlinge aus Afghanistan kommen können. Seit August gibt es dort sehr viele bedrohte Menschen durch das Taliban-Regime. Da ist jetzt ein humanitärer Korridor eingerichtet worden. Es ist sehr dringend dort weiterzuarbeiten. Wir haben eine Evakuierung für 93 Flüchtlinge aus Lybien nach Italien ermöglicht, die zuvor in schrecklichen Lagern waren. Es gibt da sehr viel zu tun und je besser wir zusammenarbeiten, desto mehr können wir erreichen.
Das Interview führte Hannah Krewer.