Den neuen Primas der anglikanischen Kirche erwartet ein schweres Erbe

Einig in der Uneinigkeit

Es braucht einen starken Glauben an die Vorsehung, um die politische Ohnmacht eines Primas der anglikanischen Weltgemeinschaft aushalten zu können. Mehr als Hütehund denn als Hirte ist gefragt, wer zum Jahresende als 105. Erzbischof von Canterbury auserkoren wird.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Mehr als einmal hat der scheidende Primas, Erzbischof Rowan Williams von Canterbury, die Streithähne des konservativen und des liberalen Kirchenflügels gezähmt und um fünf vor zwölf eine Kirchenspaltung verhindert. Es geht zuweilen wenig geschwisterlich zu zwischen den 26 Nationalkirchen: den stark wachsenden, stark konservativ geprägten in Afrika und Asien und den liberalen, vom Zeitgeist angefochtenen, etwa in den USA. Der Riss geht dabei oft quer durch die nationale Kirchengemeinschaft, etwa in der Mutterkirche von England. Der (Ehren-)Primas ist dabei nur "Erster unter Gleichen". Waffe und Kapital sind ihm nur Überzeugungskraft und Tradition.



Denkt man an seine künftigen Aufgaben als Streitschlichter Nummer eins, klingen die Worte des früheren Anführers des evangelikalen Flügels, Peter Akinola aus Nigeria, bis heute nach: "Ein Krebsgeschwür, das sich jeder Behandlung widersetzt, muss herausgeschnitten werden." Immerhin: Die Bischöfe des "Global South" reklamieren für sich, die Hälfte der rund 77 Millionen Anglikaner weltweit zu repräsentieren.



Richtungsstreit

Worum dreht sich der Streit? Grob gesagt ist es jener Richtungsstreit, der auch in anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften für Spannungen sorgt: Öffnung für neuere gesellschaftliche Entwicklungen oder Verteidigung der Tradition? Näherhin geht es um die Weihe von Frauen zu Bischöfinnen sowie um den Umgang mit Homosexuellen: Soll es schwule Bischöfe geben oder Segnungsriten für gleichgeschlechtliche Paare?



Das sind - nebenbei - Fragen, die auch in Rom aufmerksam verfolgt werden. Vor der Entscheidung für anglikanische Priesterinnen war sogar schon von der Möglichkeit einer künftigen Rückkehr zur vollen Kirchengemeinschaft die Rede gewesen. Jede neue Liberalisierung in Fragen der Kirchendisziplin hat dieses Ziel weiter weggerückt. Inzwischen gibt es - bei aller gut funktionierenden Ökumene zwischen Rom und Canterbury - sogar katholische Strukturen für übertrittswillige Anglikaner.



Nach Williams" Rücktrittsankündigung verging keine Stunde, bis die Wettbüros Quoten für seine Nachfolge anboten. Und es war keine Überraschung, dass die charismatische "Nummer zwei" der Kirchenhierachie, Erzbischof John Sentamu (62) von York, die Nase vorn hatte - vor der "Nummer drei", dem Londoner Bischof Richard Chartres (64).



Drahtseilakt nötig

Nicht nur, dass der vitale Sentamu im Amt eine "gute Figur" macht. Und dass er als gebürtiger Ugander dem multikulturellen Britannien gut zu Gesicht stünde und wohl auch dem "Global South" gefallen würde. Seine Berufung würde auch einer Arithmetik folgen, die seit dem Zweiten Weltkrieg Bestand hat: auf einen anglokatholischen, also der katholischen Tradition der Kirche von England zuneigenden Primas (wie Williams) folgt immer ein evangelikaler (wie Sentamu). So war es bei Geoffrey Fisher (1945-1961), Michael Ramsey (1961-1974, anglokatholisch), Donald Coggan (1974-1980, evangelikal), Robert Runcie (1980-1991, anglokatholisch) und George Carey (1991-2002, evangelikal).



Wer immer es wird: Er wird einen Drahtseilakt vollbringen müssen. Der unermüdliche Williams hat die Risse nur an der Oberfläche kitten können. Dem anglikanischen Grundlagenvertrag (Anglican Covenant), der die unverbrüchlichen Bestandteile der anglikanischen Lehre in einem verbindlichen Rahmen festzurren soll, um künftige "schismatische Handlungen" zu verhindern, fehlt die rechte Schlagkraft. Die hohen Künste des immer weiter ausgedehnten Kompromisses und des Sitzens zwischen allen Stühlen muss der 105. "Canterbury" allemal mitbringen. Und dazu "die Konstitution eines Ochsen und die Haut eines Rhinozeros", wie Rowan Williams am Freitag vor Journalisten ulkte.