Neuer alter Favorit für Nachfolge von Williams

John Sentamu auf dem Sprung

Er mag die großen Auftritte und ist doch stets loyal im Schatten seines Primas Rowan Williams gewesen. Nun, nach dessen angekündigtem Rücktritt zum Jahresende, wird er noch mehr ins Rampenlicht rücken: Auf der Suche nach dem neuen Oberhaupt der anglikanischen Weltgemeinschaft ist John Tucker Mugabi Sentamu, Erzbischof von York, von Beginn an Quotenkönig der Londoner Wettbüros.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Im Amt macht der 62-Jährige eine sehr gute Figur, und er scheut auch nicht die Fallhöhe eines Mannes in herausgehobener Funktion. 2008 sprang er am Jahrestag des D-Day, der Landung alliierter Truppen in der Normandie, aus über 3.600 Metern Höhe mit dem Fallschirm ab, um Spenden für in Afghanistan verwundete Soldaten aufzubringen. Dabei hatte er sich zuvor wiederholt gegen Auslandseinsätze der britischen Armee ausgesprochen. Er glaube trotzdem, dass die Männer und Frauen, die ihr Leben für andere riskierten, Respekt für ihre gefährliche Arbeit verdienten, so Sentamu. Dazu gehörten auch eine angemessene Bezahlung und "die beste medizinische Versorgung". Daher habe er etwas mehr tun wollen als beten, um den "tapferen Männern und Frauen" zu helfen.



Für solche Aktionen ist der 1949 in Kampala/Uganda geborene Kirchenführer bekannt und beliebt. 2006 campierte er für eine Woche in seiner eigenen Kathedrale, aus Solidarität mit den Opfern des Nahost-Konflikts. Und im Dezember 2007 zerschnitt er im Fernsehen seinen weißen Priesterkragen, um gegen das Regime des simbabwischen Staatspräsidenten Robert Mugabe zu protestieren. Als früherer Richter in Uganda musste Sentamu in den 70er Jahren vor der Folter Idi Amins fliehen. Er hatte sich geweigert, einen Vetter des Diktators freizusprechen. Oft zelebriert er den Gottesdienst in bunten Gewändern, die an seine afrikanische Heimat erinnern.



Ihn deshalb als Showman zu sehen, wäre freilich ganz verfehlt. Seine Stellungnahmen zu sozialen Schieflagen sind ernsthaft und treffend, seine Fähigkeiten als einer der besten Kenner des anglikanischen Kirchenrechts in Zeiten drohender Spaltung unbezahlbar. John Sentamu, das sechste von 13 Kindern, gehört dem evangelikalen Flügel der Anglikaner an. Und der ist nun bei der anstehenden Besetzung gemäß einem ungeschriebenen Gesetz nach dem anglokatholischen Waliser Williams ohnehin am Zug.



Wahltaktisch spricht aber noch viel mehr für Sentamu: Als Schwarzafrikaner dürfte er für den konservativ-evangelikalen Flügel der aufstrebenden Nationalkirchen aus Asien und Afrika durchaus anschlussfähig sein. Zugleich ist für die Liberalen aus Nordamerika und Europa, denen Williams immer wieder Brücken gebaut hat, dessen loyaler "Mann im Rücken" - während andere in den vergangenen Jahren vor Dolchstößen gegen den vermeintlich "führungsschwachen" Primas nicht zurückschreckten.



Und schließlich: Der "Alten Tante" Staatskirche bläst derzeit mächtig liberaler Wind von Seiten der Regierung ins Gesicht. So sollen 26 Bischöfe im Rahmen einer radikalen Gesundschrumpfung aus dem Oberhaus verdrängt werden. Die Privilegierung einer einzigen Religionsgemeinschaft entspreche nicht mehr den Realitäten einer multikulturellen britischen Gesellschaft, hieß es. Da wäre ein Frontmann mit Migrationshintergrund und dunkler Hautfarbe - der erste ausländische Erzbischof der Kirche von England ist er schon - ein guter und ständiger Zwischenruf. Nicht umsonst beschloss 2011 die (in York tagende) Generalsynode mit großer Mehrheit, mehr Mitglieder von Minderheiten in die Kirchenleitung zu bringen.



Williams" Rücktritt zum Jahresende gibt dem dann 105. Erzbischof von Canterbury genug Zeit, sich auf die "Lambeth Conference" vorzubereiten, das alle zehn Jahre stattfindende Treffen aller Bischöfe der anglikanischen Gemeinschaft. Die nächste findet 2018 statt. Bei diesen Versammlungen wurden in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder innerkirchliche Streitthemen kontrovers diskutiert, so die Priesterweihe für Frauen oder der Umgang mit Homosexualität. Diese wegweisende Konferenz würde dann auch schon bald wieder das Ende von Sentamus Amtszeit markieren: Bischöfe der anglikanischen Kirche sind verpflichtet, im Alter von 70 Jahren ihre Mitra niederzulegen.