Der Begriff Kulturkampf hat eine schillernde Bedeutung

Am Weihwasser die Finger verbrannt

Sie finden ohne Waffen statt, doch Kulturkämpfe können mit großer Härte ausgetragen werden. Dass SPD-Chef Gabriel jetzt einen kulturellen Kampf gegen den Islamismus ausruft, hat wohl mit dem beginnenden Wahlkampf zu tun.

Autor/in:
Christoph Arens
Messdiener mit Weihwasser / © Arno Burgi (dpa)
Messdiener mit Weihwasser / © Arno Burgi ( dpa )

Ob bewusst oder unbewusst: SPD-Chef Sigmar Gabriel hat im "Spiegel" mit seiner Forderung nach einem "kulturellen Kampf" gegen Islamismus und Terrorismus an ein umstrittenes Kapitel deutscher Geschichte angeknüpft. "Gabriel will Kulturkampf gegen Islamismus" titelte Spiegel Online am Freitag. Wer will, kann die Wortwahl des Parteichefs mit dem vor 20 Jahren erschienenen Bestseller von Samuel Huntington "Kampf der Kulturen" verbinden, aber auch mit Bismarcks Kulturkampf gegen die katholische Kirche zwischen 1871 und 1887.

Am Weihwasser die Finger verbrannt

Huntington hatte 1996 vermutet, dass es zu Konflikten insbesondere der westlichen Zivilisation mit dem chinesischen und dem islamischen Kulturraum kommen könnte. Bismarcks Kulturkampf gegen die Kirche erwies sich letztlich als Niederlage. Spöttisch hieß es damals im Volksmund, der Reichskanzler habe sich "am Weihwasser die Finger verbrannt".

Viele europäische Nationalstaaten lagen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Konflikt mit der übernational aufgestellten katholischen Kirche, weil sie die Autonomie des Staates gegen päpstliche Ansprüche behaupten wollten. Auch im 1871 gegründeten und preußisch-protestantisch geprägten Kaiserreich sah Reichskanzler Otto von Bismarck die noch wackelige Einheit von der von Rom aus gesteuerten katholischen Kirche bedroht, die im Ersten Vatikanischen Konzil gerade den Unfehlbarkeitsanspruch des Papstes formuliert hatte.

Zugleich wollte der Machtpolitiker Bismarck die katholische Zentrumspartei mit ihrer alle sozialen Schichten übergreifenden Massenbasis als Opposition ausschalten. Für diese Politik prägte der Berliner Anatom und Abgeordnete der linksliberalen Fortschrittspartei, Rudolf Virchow, erstmals 1873 den Begriff "Kulturkampf".

"Kanzelparagraph" ins Strafgesetzbuch

Es war eine Vielfalt von Gesetzen, die den Einfluss der Kirche in Preußen und auch im Reich beschränken sollte: Im Dezember 1871 wurde der "Kanzelparagraph" ins Strafgesetzbuch aufgenommen, der Geistlichen verbot, von der Kanzel staatliche Angelegenheiten kritisch zu erörtern. 1872 schränkte das Schulaufsichtsgesetz den Einfluss der beiden christlichen Konfessionen auf die Schulen ein.

Die preußischen "Maigesetze" von 1873 unterwarfen die katholische Kirche fast vollständig der staatlichen Reglementierung: Angehende Theologen mussten ein staatliches Kulturexamen ablegen; Bischöfe wurden verpflichtet, Neubesetzungen geistlicher Ämter dem Staat zu melden. 1875 wurde die Zivilehe eingeführt. Das "Brotkorbgesetz" verfügte die Einstellung sämtlicher staatlicher Zuwendungen an Bistümer und Geistliche.

Gleichzeitig nahmen Sanktionen gegen Vertreter der Kirche zu. Viele Orden wurden verboten. Allein innerhalb der ersten vier Monate des Jahres 1875 wurden 136 katholische Zeitschriftenredakteure zu Geldstrafen verurteilt oder inhaftiert. Im selben Zeitraum wurden 20 katholische Zeitungen konfisziert. Bis zum Ende der 1870er Jahre befand sich über die Hälfte der katholischen Bischöfe Preußens entweder im Exil oder im Gefängnis. In einem Viertel aller preußischen Pfarreien gab es keinen Priester.

Bismarck verfehlte sein Ziel

Trotz aller Schikanen verfehlte Bismarck sein Ziel. Die Unterdrückung verstärkte eher die innerkirchliche Solidarität und die Identifikation mit dem Papsttum. Das katholische Vereins- und Verbandswesens erlebte ebenso einen deutlichen Aufschwung wie die katholische Presse. Bei den Reichstagswahlen 1877 und 1878 konnte sich die Zentrumspartei als zweitstärkste Fraktion im Parlament etablieren.

Bismarck konnte seine harte Linie nicht länger durchhalten. Auch für seine neue konservative Politik brauchte der Reichskanzler das Zentrum. Sein Kurswechsel wurde auch durch einen neuen Papst ermöglicht. Der am 20. Februar 1878 gewählte Papst Leo XIII. signalisierte Verständigungsbereitschaft. Im Mai 1880 kündigte Bismarck eine erste Abmilderung der antiklerikalen Gesetze an. Die beiden Friedensgesetze von 1886 und 1887 revidierten schließlich bis auf Schulaufsicht und Zivilehe nahezu alle Kulturkampfgesetze. Am 23. Mai 1887 erklärte Leo XIII., dass der Friedenszustand zwischen Heiligem Stuhl und Deutschem Reich wieder hergestellt sei.


Nahm am Fastenbrechen teil: Sigmar Gabriel / ©  Michael Kappeler (dpa)
Nahm am Fastenbrechen teil: Sigmar Gabriel / © Michael Kappeler ( dpa )
Quelle:
KNA