Noel Treanor (68), Vizepräsident der EU-Bischofskommission COMECE und Bischof von Down und Connor mit Sitz in Belfast, spricht im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) über die wachsende Unsicherheit der Bevölkerung dies- und jenseits der künftigen EU-Grenze.
KNA: Herr Bischof, wie haben die Menschen in Irland und Nordirland die Neuigkeiten über den in Brüssel ausgehandelten Deal wahrgenommen?
Noel Treanor: Auch wenn wir nun einen Deal haben, wissen wir nicht, wie die Zukunft dieses Deals aussehen wird. Niemand kann derzeit vorhersagen, was passiert. Für die Menschen bedeutet der Brexit eine immer größer werdende Unsicherheit. Sie machen sich Sorgen um die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen sowie mögliche Auswirkungen des Brexits auf Frieden und Stabilität.
Den Menschen wird immer klarer, dass der Brexit wahrscheinlich sehr entscheidende politische Konsequenzen haben wird. Allerdings gibt es auch eine gewisse Müdigkeit in der Gesellschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
KNA: Erleben Sie schon handfeste Folgen des Brexits?
Treanor: Vor allem Unternehmen sind zunehmend unsicher. Einige in Nordirland und in Großbritannien mussten bereits wegen des Brexits schließen. Besonders die Menschen in der Landwirtschaft machen sich Sorgen. Man hoffte, dass sich die Lage klärt. Doch nun scheint es kein Ende zu nehmen. Das ist eine schwierige Lage.
KNA: In Nordirland war eine Mehrheit im Referendum gegen den EU-Austritt Großbritanniens. Was bedeutet das neue Abkommen für den Frieden in Nordirland?
Treanor: Die sogenannte Irland-Frage aus dem 20. Jahrhundert, also das Problem der Grenze zwischen Nordirland und Irland, kommt in dem Kontext zurück. In vielerlei Hinsicht ist die Perspektive einer harten Grenze mit großen Sorgen verbunden. Sie könnte die Sicherheitslage destabilisieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die Institutionen, die nach dem Karfreitagsabkommen von 1998 für den Friedens- und Versöhnungsprozess geschaffen wurden, seit mehr als 1.000 Tagen nicht mehr funktionieren.
KNA: Wie können sich die Kirchen derzeit für den Frieden einsetzen?
Treanor: In Nordirland ist durch das Nichtfunktionieren dieser Institutionen ein politisches Vakuum entstanden. Die katholische und die anglikanische Kirche, die Protestanten und Methodisten versuchen, diese Blockade aufzuheben und die Menschen wieder miteinander ins Gespräch zu bringen. Sie haben dafür in verschiedenen Orten Diskussionen mit Politikern, Organisationen und Bürgern initiiert.
Bei diesen Gesprächsrunden in Nordirland und Irland konnten die Bürger auch ihre Sorgen zum Brexit äußern. Der Prozess läuft, solche Treffen finden weiter statt.
KNA: Wie würde sich Ihre Rolle in der EU-Bischofskommission COMECE verändern, wenn Großbritannien aus der EU austritt?
Treanor: Gar nicht. Ich bin dort delegierter Bischof aus Irland. Die katholische Kirche in Irland ist inselweit organisiert. Das heißt: Sowohl Nordirland und Irland gehören zur Irischen Bischofskonferenz. Und Irland bleibt ja in der EU.
KNA: Warum tun sich die Briten so schwer mit Europa?
Treanor: Die Gesellschaft ist beim Brexit gespalten. Und diese Spaltung können auch ein Referendum oder Neuwahlen nicht lösen. Das Thema Europa ist sehr komplex. Vor dem Brexit-Referendum gab es radikale Falschinformationen. Zudem wurde Europa von einigen Politikern mit dem Thema Einwanderung gleichgesetzt, Ängste wurden geschürt. Ohnehin gibt es in Großbritannien eine traditionelle Euroskepsis. Dieses Gemisch macht die Lage für Europa sehr kompliziert.
KNA: Was bedeutet Europa für Sie?
Treanor: Europa ist ein Friedensprojekt. Souveränität wird geteilt und über die Soziale Marktwirtschaft das Gemeinwohl gefördert. Europa steht für christliche Werte wie etwa die Menschenwürde jenseits von Grenzen. Der Brexit ist dafür ein Rückschritt.