Nun ist sie verabschiedet, die Antisemitismus-Resolution des Bundestags. Endlich, sagen viele. Falsch, finden manche. Eigentlich gehört der Beschluss solcher von einer breiten Mehrheit getragenen Papiere eher zu den positiven, von Konsens geprägten Momenten der parlamentarischen Arbeit. Doch in diesem Fall lief einiges anders.
So viel lässt sich bereits sagen: Die Debatte um die Resolution von SPD, Union, Grünen und FDP mit dem Titel "Nie wieder ist jetzt - Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken", der auch die AfD zustimmte - die Gruppe BSW stimmte dagegen, die Gruppe Linke enthielt sich -, wird wohl weitergehen. Bis zuletzt hatten Kritiker aus Politik, Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft, aber auch aus dem Parlament, dagegen mobil gemacht und für andere Formulierungen und Inhalte geworben.
Antisemitismus-Definition nur noch "maßgeblich"
Dabei ist der nach monatelangen Verhandlungen nun beschlossene Kompromisstext in einigen strittigen Punkten gegenüber früher kursierenden Fassungen durchaus abgeschwächt.
So sollen zwar keine Organisationen und Projekte staatlich gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels infrage stellen, zum Boykott Israels aufrufen oder die gegen Israel gerichtete BDS-Bewegung aktiv unterstützen. In diesem Zusammenhang sei die sogenannte Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) aber nur "als maßgeblich heranzuziehen", heißt es.
Die Bundesregierung hatte sich 2017, der Bundestag 2019 zu der Definition bekannt beziehungsweise sie bekräftigt. Auch andere Staaten verwenden die rechtlich nicht bindende Definition.
Sie umfasst unter anderem die Vorstellung einer angeblichen "jüdischen Weltverschwörung", die Leugnung des Holocaust und das Zuschreiben kollektiver Verantwortung von Juden für die Politik des Staates Israel. Gegner des Textes befürchten, dass sie genutzt werden könnte, um jegliche Kritik an Israel und seiner Regierung zu delegitimieren - womöglich mit Folgen auch für Organisationen im Nahen Osten, die Gelder aus Deutschland bekommen.
Dass die Definition nun nicht mehr alleinige Grundlage für Entscheidungen, sondern nur noch maßgeblich sein soll, lässt zumindest mehr Spielraum. Zudem wurde im Zuge der Verhandlungen die Formulierung gestrichen, dass Antragsteller für Fördermittel auf Antisemitismus überprüft werden sollten - wofür sich insbesondere die Union eingesetzt hatte.
Eine ähnliche Antisemitismus-Klausel war auf Landesebene in Berlin in diesem Jahr gescheitert. Der Deutsche Kulturrat lehnt "einen Bekenntniszwang, wenn Kultur-Fördermittel beantragt werden", ab.
Keine Förderung für Projekte mit antisemitischen Inhalten
Im Kulturbereich fordert die rechtlich ebenfalls nicht verbindliche Resolution des Bundestags nun, Länder, Bund und Kommunen sollten "rechtssichere, insbesondere haushälterische Regelungen erarbeiten, die sicherstellen sollen, dass keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert werden". Kunst- und Kulturveranstaltungen sollten antisemitismuskritische Verhaltenskodizes anwenden.
Der Bundestag verlangt mit seinem Beschluss zudem, die Nationale Strategie gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben vollständig umzusetzen und dabei "Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen". Dies gelte in besonderem Maße im Strafrecht sowie im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht.
Zudem müssten nach dem Betätigungsverbot für die Terrororganisation Hamas und das internationale Netzwerk Samidoun weitere extremistische Organisationen überprüft und - sofern möglich - verboten werden.
Ausdrücklich erwähnt wird dabei auch die Boykott-Bewegung BDS, die der Bundestag 2019 als antisemitisch verurteilt hatte und die der Bundesverfassungsschutz als extremistischer Verdachtsfall führt.
Förderung von Bildung und Arbeit von Gedenkstätten
Die Resolution spricht sich außerdem dafür aus, Schulen und Hochschulen darin zu unterstützen, durch Anwendung des Hausrechts antisemitische Übergriffe zu ahnden, zum Beispiel durch Ausschluss vom Unterricht oder gar der Exmatrikulation. Präventive Schritte werden als hilfreich benannt. Historisch-politische Bildungsarbeit und die Arbeit von Gedenkstätten sollen insbesondere gefördert werden.
Die Ampel-Koalition und die Union hatten mehr als ein Jahr um die Resolution gerungen. Eigentlich wollten beide Seiten als Antwort auf den Terror-Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 bereits wenige Woche später ein Papier beschließen. Vorgesehen war der Beschluss am 9. November, dem Jahrestag der gegen Juden gerichteten Novemberpogrome der Nazis von 1938. Doch dann verhakten sich die Fraktionen. Gleichzeitig nahmen antisemitische Straftaten in Deutschland deutlich zu.
In den folgenden Monaten verhandelten Ampelkoalition und Union hinter verschlossenen Türen weiter. Entwürfe wurden durchgestochen, deren Inhalt Widerspruch und Offene Briefe nach sich zog. Auch Vorwürfe, das Verfahren sei intransparent und die Fraktionen würden Kritik von außerhalb des Parlaments ignorieren, wurden bis zum Schluss erhoben.
Als sich abzeichnete, das zum ersten Jahrestag des Hamas-Massakers noch immer keine Resolution verabschiedet werden würde, nannte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, das "beschämend". Er sprach gar davon, dass die Unterstützung für Israel in der deutschen Politik schwinde.
"Sinnvolle Grundlage"
Dass es nun endlich zu einer Einigung gekommen ist, wurde vom Zentralrat und anderen Organisationen wie der Deutsch-Israelischen Gesellschaft deutlich begrüßt. Sie wenden sich gegen Versuche, die Antisemitismus-Definition der IHRA zu diskreditieren.
Auch die Antisemitismusbeauftragten aus Bund und Ländern lobten, dass die Resolution mehr Klarheit schaffe. Sie sei "eine sinnvolle Grundlage für dringend notwendige Maßnahmen, mit denen Antisemitismus in allen Bereichen effektiv bekämpft und zurückgedrängt werden kann", erklärten sie. Der Bundesbeauftragte Felix Klein sagte, der Antrag werde mit "seinen klaren Aussagen dafür sorgen, die Debatte zu versachlichen", die er als teilweise vergiftet ansieht. Er betonte, dass politisch begründete Kritik am Handeln der israelischen Regierung jederzeit möglich sei und bleibe.
Sorge vor Einschränkung der Meinungsfreiheit
Gegner des Textes fürchten dagegen weiterhin eine Einschränkung der Meinungs-, Kunst-, Wissenschafts- und Versammlungsfreiheit durch die Resolution. Statt Antisemitismus wirksam zu bekämpfen, werde Kritik an israelischer Politik eingeschränkt und teilweise sogar kriminalisiert, heißt es in einem Offenen Brief.
Mehr als 4.000 Einzelpersonen sowie Dutzende Organisationen aus Politik, Kultur und Gesellschaft haben ihn bislang unterzeichnet. Zu ihnen gehören etwa der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit, die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer und die Schriftstellerin Eva Menasse, aber auch Amnesty International und die katholische Friedensbewegung Pax Christi.
Die Unterstützer des Briefes verweisen auf einen alternativen Formulierungsvorschlag von Wissenschaftlern, den diese im Oktober in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" veröffentlicht haben, nachdem sie ihn zuvor an die Fraktionen geschickt hatten. Der Vorschlag setze beispielsweise "statt auf unsichere Definitionen auf konkrete Handlungen" wie Bildung und eine Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Die Autoren - die Juristen Ralf Michaels, Jerzy Montag und Andreas Paulus, die Soziologen Armin Nassehi und Paula-Irene Villa Braslavsky sowie die Historikerin Miriam Rürup - wollten unter anderem einen Fokus auf die Eigenverantwortlichkeit der Zivilgesellschaft und die Vielfalt jüdischer Stimmen legen.
Auch in der Debatte im Bundestag am Donnerstagmorgen kam die Kritik an der Resolution noch einmal zur Sprache: Abgeordnete der unterstützenden Fraktionen verwiesen darauf, dass die IHRA-Definition ausdrücklich besage, dass Kritik an Israel, die mit der Kritik an anderen Staaten vergleichbar sei, nicht als antisemitisch anzusehen sei.
Welche Folgen die Resolution in der Praxis nun haben wird, muss sich erst noch erweisen. Befürworter wie Zentralratspräsident Schuster weisen schon einmal darauf hin, dass es auf eine effektive und zügige Umsetzung der vorgesehenen Maßnahmen ankomme.