Papst Benedikt XV. sprach von einem "rachsüchtigen Diktat" und forderte Gerechtigkeit auch für die Kriegsverlierer.
"Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns in diese Fesseln legt?" klagte der Ministerpräsident des Deutschen Reiches, Philipp Scheidemann, und begründete damit im Mai 1919 seinen Rücktritt. Und der Soziologe Max Weber kommentierte: "Nun wird [...] der Friede diskreditiert sein, nicht der Krieg."
Ein von allen Seiten ungeliebter Friedensschluss
Die Rede war vom Versailler Vertrag. Als die deutschen Minister Hermann Müller (SPD) und Johannes Bell (Zentrum) vor 100 Jahren, am 28. Juni 1919, ihre Unterschriften unter den Vertrag setzten, mussten sie eine Gruppe verstümmelter französischer Soldaten passieren - Gesichtsverletzte mit Schädelbinden, fehlenden Nasen und zerschossenen Kiefern. Eine Demütigung sondergleichen, auch weil die Unterzeichnung im Schloss von Versailles stattfand, wo 1871 das Deutsche Reich gegründet worden war.
"Kein Zweifel: Von den verstümmelten Soldaten sollte keine Botschaft des Friedens ausgehen", schreibt der Marburger Historiker Eckart Conze in seinem Buch "Die Große Illusion. Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt". Sie sollten den deutschen Kriegsverlierern vor den Augen der Welt die alleinige moralische Schuld zuweisen.
Deutschland war an den Verhandlungen nicht beteiligt. Seine Abgesandten können den Vertragstext nur entgegennehmen. Alles in allem verlor das Reich etwa ein Siebtel seines Gebiets, ein Zehntel seiner Bevölkerung und musste auf seine Kolonien verzichten. Die in Artikel 231 festgeschriebene Alleinschuld am Weltkrieg führte zu enormen Reparationsforderungen. Schnell galt der Vertrag bei einem beträchtlichen Teil der Deutschen als "Diktat" und "Schandfrieden".
Westfälischer Friede von 1648 und Wiener Kongress 1815: Beide europäischen Friedensschlüsse schufen eine lang währende stabile Ordnung. Der Versailler Vertrag aber war schon 20 Jahre später Makulatur. Es war ein von allen Seiten ungeliebter Friedensschluss, der später auch für den Aufstieg Hitlers und den Zweiten Weltkrieg verantwortlich gemacht wurde. "Auf allen Seiten ging auch nach dem Waffenstillstand der Krieg in den Köpfen weiter", heißt es bei Conze.
"Versailles - das war der Frieden, den keiner wollte." Dabei war der Weg zu Hitler keineswegs zwangsläufig: Die Weimarer Republik habe durchaus eine Erfolgschance gehabt, so der Historiker.
Er warnt zugleich vor einer auf Westeuropa fixierten Sichtweise. Denn die Pariser Vorortverträge - darunter der Vertrag von Saint Germain mit Österreich 1919, der Vertrag von Trianon mit Ungarn 1920 und der Vertrag von Sevres mit dem Osmanischen Reich 1920 - hatten weltweite Auswirkungen.
Großes Bündel von Problemen
"Vielleicht unternahm die Pariser Friedenskonferenz von vornherein etwas Unmögliches", zitiert der Marburger Historiker den Schriftsteller Sebastian Haffner. Da gab es einerseits die große Friedenssehnsucht und die illusionären Hoffnungen, dass nach dem mörderischsten Krieg der Geschichte endlich eine stabile Ordnung geschaffen würde. Doch da war andererseits der immense Hass. Die Versailler Friedensverhandlungen standen unter dem permanenten Druck der Weltöffentlichkeit. "Frieden schließen nach totalem Krieg, dafür gab es keine Vorbilder", so der Autor.
Zugleich gab es ein großes Bündel von Problemen zu lösen: Der Zerfall des Osmanischen Reichs, der Habsburger Monarchie und Russlands löste eine Welle von Nationalismus, ethnischen Auseinandersetzungen und die Gründung neuer Nationalstaaten aus. Bis heute zeigen sich die Folgen etwa auf dem Balkan, in Palästina, dem Irak oder zwischen der Türkei und Griechenland.
Dramatische Auswirkungen hatte Versailles auch auf die koloniale Welt. Die Auflösung des deutschen Kolonialreichs und das Ende der osmanischen Herrschaft über weite Teile des Nahen und Mittleren Ostens weckten Hoffnungen auf Selbstbestimmung. Sie wurden enttäuscht, weil Frankreich und England diese Gebiete in ihr eigenes Kolonialreich eingliederten.
Zur Instabilität der Versailler Friedensordnung trug auch bei, dass die USA nicht bereit waren, die von ihr wesentlich mit geschaffene Ordnung zu stabilisieren, etwa im Völkerbund. Das sollte sich erst nach 1945 ändern.