Der Friedhofstreff in Elsen bringt die Kirche nach draußen

"Hier habe ich Zuflucht gefunden"

Fröhlich lachende Menschen mit Kaffeetassen – auf einem Friedhof: Das ist in Grevenbroich einmal die Woche Realität. Der "Friedhofstreff" will auch ein Leuchtturmprojekt sein und zeigen, wie die Kirche heute Menschen erreicht.

Autor/in:
Hannah Krewer
Der Friedhofstreff in Grevenbroich versteht sich als Leuchtturmprojekt / © Tobias Fricke (DR)
Der Friedhofstreff in Grevenbroich versteht sich als Leuchtturmprojekt / © Tobias Fricke ( DR )

Tische und Bänke vor einer Friedhofskapelle, fast ein Dutzend Menschen, die offenbar gemütlich Kaffee trinken, Kuchen essen und sich unterhalten… Sie sprechen über Gott, die Welt und ihre Trauer in ungewöhnlicher Wohlfühlatmosphäre: Das ist die Idee des Friedhofstreffs in Grevenbroich Elsen. Seit April 2022 bieten jeden Dienstag für ein bis zwei Stunden Haupt- und Ehrenamtliche aus der Kirchengemeinde Menschen, die um andere trauern, ein offenes Ohr in gemütlicher Atmosphäre an.

Verwunderung bei Passanten

Normalerweise finden die Treffen im Sommer unter dem Vordach der Friedhofskapelle statt / © Hannah Krewer (DR)
Normalerweise finden die Treffen im Sommer unter dem Vordach der Friedhofskapelle statt / © Hannah Krewer ( DR )

Birgit Steins ist in der Kirchengemeinde verantwortlich für die Koordination und Planung sozialer Projekte und hat das Projekt vor einem Dreivierteljahr mitgestartet. Das sogenannte "Basisteam Caritas" in der Kirchengemeinde realisiert Projekte, um Menschen im sozial-caritativen Bereich zu unterstützen. Der Friedhofstreff ist eines davon.

Und das Projekt wird von den Menschen in Elsen gut angenommen: Mal kommen nur ein oder zwei Teilnehmer, mal sind es fünf oder mehr. Bei den ersten Treffen im vergangenen Jahr seien es sogar zwölf und mehr Besucher gewesen, erzählt Birgit Steins. Für Menschen, die über den Friedhof laufen, sei der Anblick von fröhlichen, Kaffee trinkenden Menschen vor der Kapelle oft befremdlich. Aber einige halten doch an und kommen mit den Menschen dort ins Gespräch – manche kommen sogar wieder. Die meisten Besucher seien Frauen. "Vielleicht fällt es ihnen leichter, über ihre Gefühle zu reden", mutmaßt Steins.

Mehr Smalltalk als Trauergespräche

Die gute Resonanz freut Birgit Steins – und auch die gute Atmosphäre der Treffen. "Wir sitzen hier nicht nur trauernd, sondern lachen und sind lustig. Da haben wir genau das erreicht, was wir wollten." Es gebe zwar auch die Möglichkeit für Trauergespräche oder dazu, mit einem Seelsorger Gräber zu besuchen. Danach werde aber gar nicht so häufig gefragt. "Letztendlich ist es oft so gekommen, dass wir einfach Smalltalk gehalten haben." Viele Leute würden sich den Dienstag fest im Kalender eintragen und sich die ganze Woche darauf freuen.

Jetzt im Winter finden die Treffen in der Kirche St. Stephanus in Elsen statt, die direkt neben dem großen Friedhof liegt. Eigentlich will das Projekt aber genau da sein, wo sich viele Menschen aufhalten. Denn der Friedhof ist auch ein gut frequentierter Durchgangsort und eine beliebte Abkürzung. "Eigentlich wollen wir mitten im Geschehen sein", sagt Birgit Steins.

Marlene Schmitz, Manfred Jansen und Birgit Steins (v.l.n.r.) in der Kirche St. Stephanus / © Hannah Krewer (DR)
Marlene Schmitz, Manfred Jansen und Birgit Steins (v.l.n.r.) in der Kirche St. Stephanus / © Hannah Krewer ( DR )

"Die einzige Zukunft, die wir haben"

Diakon Manfred Jansen aus Grevenbroich, ebenfalls mit verantwortlich für den Friedhofstreff, sieht das ähnlich. "Wir gehen nach draußen, weil wir normalerweise als Kirche etwas anbieten und den Menschen sagen: Kommt her", erklärt er. "Und der Friedhofstreff macht das anders."

Er möchte Menschen in ihrem Alltag erreichen, die in dem Projekt einen Lebensgewinn sehen könnten. "Und wenn es zwei oder drei Leute sind, ist es schon ein Gewinn." Darin sieht er auch die Aufgabe der Kirche: Rausgehen und nicht erwarten, dass die Menschen von selbst kommen. "Ich glaube, dass das eigentlich immer unsere Aufgabe war", erklärt er. "Zu den Menschen hinzugehen, sie da zu begleiten, wo sie sind und nicht sie immer zu uns zu fordern. Ich glaub, das ist auch unsere einzige Zukunft, die wir haben."

Zuflucht auch für Kirchenferne

Der Friedhof in Elsen ist auch ein beliebter Durchgangsort / © Hannah Krewer (DR)
Der Friedhof in Elsen ist auch ein beliebter Durchgangsort / © Hannah Krewer ( DR )

Dass das tatsächlich funktioniert, zeigt das Beispiel von Marita E. [Name von der Redaktion geändert]. Die 78-Jährige hat ihren Ehemann vor anderthalb Jahren verloren. Sie sei deswegen in ein tiefes Loch gefallen, und wusste nicht, wie sie wieder herauskommen sollte, erzählt sie. "Es ist schwer, wenn man 60 Jahre verheiratet war und den Mann dann verliert. Ich habe zwar Kinder, aber die haben andere Interessen und sollen sie auch haben. Die sollen nicht eine heulende Mutter vorfinden."

Schließlich habe ihr jemand den Friedhofstreff empfohlen. Und seitdem kommt sie regelmäßig. "Ich bin an und für sich kein großer Freund der Kirche mehr", sagt sie. "Ich bin zwar gläubig, aber Kirche ist nicht so ganz meins. Aber hier habe ich Zuflucht gefunden, hier habe ich Leute getroffen, die das gleiche Schicksal haben wie ich." Deswegen kommt sie regelmäßig.

Getränke und Gebäck gehören zu jedem Treffen mit dazu / © Hannah Krewer (DR)
Getränke und Gebäck gehören zu jedem Treffen mit dazu / © Hannah Krewer ( DR )

Ehrenamtliche unterstützen das Projekt

Vor allem die gute Atmosphäre der Treffen schätzt sie: "Dass man eben zusammensitzt und alles ansprechen kann. Wir trauern nicht, wir gucken, dass wird fröhlich sind." Und besonders freut sie sich über die ehrenamtlichen Helferinnen, die sich neben den Hauptamtlichen um den Friedhofstreff kümmern: "Die beiden Damen rufen tatsächlich an, wenn ich nicht da bin und sagen: 'Was ist los? Ist Ihnen nicht gut, haben Sie irgendwas?' Und ich kann mich ausheulen."

Eine dieser beiden Ehrenamtlichen ist Marlene Schmitz. Sie kommt aus dem Bereich der Altenpflege und weiß daher, wie wichtig es ist, Hinterbliebene aufzufangen. Für sie war daher schnell klar, dass sie sich beim Friedhofstreff einbringen möchte. Sie beschreibt jedes einzelne der Treffen als "Highlight" – denn neben der Begleitung und dem Gesprächsangebot nimmt sie auch für sich persönlich viel mit: "Die Gespräche, wo man dann abends auch nochmal zuhause sitzt und darüber nachdenkt und auch einfach die Gemeinschaft hier."

Dem Negativbild etwas entgegensetzen

Für Birgit Steins ist der Friedhofstreff ein Vorzeigeprojekt. Dass Menschen hier nur punktuell mit der Kirche in Berührung kommen und nicht unbedingt dauerhaft, ist für sie nichts, was dagegenspricht. „Bei allem, was in der letzten Zeit vorgefallen ist und dem Negativbild, das in der Öffentlichkeit ja auch vorherrscht, finde ich auch gerade solche Themen wichtig." Und ihr ist wichtig zu betonen: "Es ist keine Voraussetzung, dass man der katholischen Kirche angehört, zu uns darf jeder kommen, wir haben für jeden ein offenes Ohr."

Für die Zukunft überlegt das Team des Friedhofstreffs, das Angebot auf andere Friedhöfe in der Umgebung auszuweiten. Aber erstmal freuen sich alle darauf, wenn die Treffen im Sommer auch wieder draußen vor der Friedhofskapelle stattfinden können.

Information der Redaktion: Aufgrund einer falschen Formulierung wurde der Artikel am 16. Januar um 12:07 Uhr aktualisiert.

Das Stichwort: Friedhofskultur

Die Friedhofskultur in Deutschland ist seit 2020 "immaterielles Kulturerbe". Auf Empfehlung der Deutschen Unesco-Kommission beschloss die Kultusministerkonferenz im März 2020 die Aufnahme in das bundesweite Kulturerbe-Verzeichnis.

Das immaterielle Erbe Friedhofskultur bezieht sich dabei "auf das, was Menschen auf dem Friedhof tun - trauern, erinnern und gedenken" sowie auf das Gestalten, Pflegen und Bewahren. Es sind also nicht die Friedhöfe selbst, die zum Unesco-Welterbe ernannt wurden, das wäre quasi materielles Erbe.

Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz (KNA)
Friedhof im Frühling / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR