DOMRADIO.DE: Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat am Mittwoch die Kündigung eines Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus in Düsseldorf wegen dessen Scheidung und Wiederheirat für unwirksam erklärt. Es habe keine kündigungsrelevante Dienstverletzung vorgelegen. Die Kündigung erfolgte schon 2009. Warum hat sich denn der Rechtsstreit über so viele Jahre hingezogen?
Pfr. Dr. Antonius Hamers (Leiter des Katholischen Büros NRW): Weil er über verschiedene Instanzen gegangen ist und weil verschiedene Gerichte damit befasst waren.
Der normale "Instanzenzug" ist der vom Arbeitsgericht zum Landesarbeitsgericht und schließlich zum Bundesarbeitsgericht. Dann hat das Bundesarbeitsgericht das Ganze zunächst dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Danach hat das Bundesverfassungsgericht das zurück ans Bundesarbeitsgericht gegeben. Weiter hat das Bundesarbeitsgericht, weil es eine Frage sah, wo es um eine europarechtliche Auslegung ging, den Europäischen Gerichtshof angerufen. Der Europäische Gerichtshof hat das dann wiederum an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen. Letztlich hat das Bundesarbeitsgericht jetzt entschieden.
Es hat sich also über so viele Jahre hingezogen, weil so viele höchste Gerichte daran beteiligt gewesen sind. Dieser Fall hat insofern absolut Rechtsgeschichte geschrieben, weil es das so in dieser Form noch nicht gegeben hat.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet dieses Urteil jetzt für die Kirche als Arbeitgeberin und für kirchliche Angestellte?
Hamers: Es ist so, dass die Kirche vor einiger Zeit schon ihr kirchliches Arbeitsrecht verändert und stärker geöffnet hat und diese sogenannten Loyalitätspflichten umgeschrieben, verändert und geweitet hat. Insofern hat dieses Urteil gar nicht einmal unbedingt für die Arbeitsverhältnisse in der Kirche jetzt im Moment unmittelbare Bedeutung. Denn die Kirche kann natürlich - genauso wie jeder andere Arbeitgeber auch - zunächst einmal eine gewisse Loyalität, eine gewisse Verbundenheit ihrer Arbeitnehmer mit sich und mit ihrem Auftrag verlangen. Darüber hinaus hat die Kirche durch das sogenannte Selbstbestimmungsrecht, was in der Verfassung zu Grunde gelegt ist, die Möglichkeit, ein eigenes Arbeitsrecht zu implementieren.
Da muss man allerdings jetzt sagen, dass durch dieses Urteil sowohl vom Europäischen Gerichtshof wie jetzt aber vor allem auch vom Bundesarbeitsgericht der Interpretationsspielraum der Kirche in ihrem Selbstbestimmungsrecht deutlich eingeschränkt ist. Obergerichte haben jetzt Vorgaben gemacht, was verlangt werden kann und was nicht verlangt werden kann. Dieses Selbstbestimmungsrecht der Kirche steht auf der einen Seite und das individuelle Recht des Einzelnen - in diesem Fall dieses Düsseldorfer Chefarztes - steht auf der anderen Seite.
DOMRADIO.DE: Sie haben es gerade schon angedeutet: Die katholische Kirche hat ohnehin ihr Arbeitsrecht schon liberalisiert. Nach heutiger Auffassung würde wohl dem Chefarzt gar nicht mehr gekündigt werden. Warum dann überhaupt noch die gerichtliche Auseinandersetzung?
Hamers: Weil dieser Fall grundsätzlich schon ins Rollen gekommen war und insofern auch abgeschlossen werden musste. Das Bundesarbeitsgericht war da nochmal hingegangen und hat es dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Insofern musste dieses Gerichtsverfahren zunächst einmal abgeschlossen werden - auch wenn nach dem momentanen, liberalisierten Arbeitsrecht der Kirche eine solche Kündigung heute überhaupt nicht mehr ausgesprochen werden würde.
DOMRADIO.DE: Das Erzbistum Köln hat schon mit einer Stellungnahme reagiert. Es hat darauf hingewiesen, dass es hier nicht nur um den Chirurgen und um den Einzelfall gehe, sondern dass dieses Verfahren auch Grundsatzfragen des Verhältnisses vom nationalen Verfassungsrecht zum Recht der Europäischen Union berühre, weil die EU auch beteiligt war. Sind denn da Konsequenzen zu erwarten?
Hamers: Es wird ganz spannend sein, dass jetzt nochmal genauer auszuwerten. Das Bundesarbeitsgericht setzt gemeinsam mit dem Europäischen Gerichtshof hier einen deutlich anderen Akzent als das Bundesverfassungsgericht ihn bislang gesetzt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat bislang eigentlich diesem Selbstbestimmungsrecht der Kirche einen relativ großen Raum eingeräumt. Die Kirchen konnten in diesem Selbstbestimmungsrecht relativ stark selbst bestimmen.
Aber sowohl durch diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts als auch schon durch diese Vorgabe vom Europäischen Gerichtshof ist das deutlich eingeschränkt. Insofern berührt diese Entscheidung selbstverständlich auch das grundsätzliche Verhältnis von Staat und Kirche in der Bundesrepublik. Das ist insofern schon äußerst interessant.
DOMRADIO.DE: Was denken Sie, was sollte oder wird der kirchliche Arbeitgeber nach dem heutigen Urteil tun? Nochmal in Berufung gehen oder einlenken?
Hamers: In Berufung gehen kann er nicht. Der Instanzenzug ist im Grunde jetzt ans Ende gekommen. Das einzige, was möglich wäre, wäre eine erneute Vorlage an das Bundesverfassungsgericht. Dafür müsste jetzt zunächst einmal das Urteil natürlich gründlich ausgewertet werden. Nach dem, was ich im Moment darüber weiß, hielte ich es nicht für eine gute Entscheidung, das Bundesverfassungsgericht jetzt noch einmal damit zu befassen.
Das Interview führte Heike Sicconi.