Die Orthodoxie in der Republik Moldau ist tief gespalten. Lange Zeit dominierte die Moldauische Orthodoxe Kirche (MolOK), die zum Moskauer Patriarchat gehört.
Doch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die "Kriegstreiberei" des russischen Patriarchen Kyrill stelle viele Gläubige vor ein Dilemma, so der aus Rumänien stammende und in Mainz lehrende Kirchenhistoriker Mihai Dumitru Grigore in einem ausführlichen Beitrag des Magazins "Religion & Gesellschaft in Ost und West".
Viele Priester der MolOK seien bereits zur Metropolie Bessarabien (MB) der Rumänisch-orthodoxen Kirche übergetreten. Diese Entwicklung werde von der proeuropäischen Regierung Moldaus unterstützt.
Kirchliche Spannungen seit den 90er Jahren
Wie in den meisten orthodoxen Kirchen im ehemaligen Ostblock kam es laut Grigore nach der Wende 1989/90 auch im kirchlichen Bereich der Republik Moldau zu einer angespannten Lage, als 1992 die Rumänisch-orthodoxe Kirche die orthodoxe Metropolie von Bessarabien mit Sitz in der Hauptstadt Chisinau reaktivierte.
Die Moldauische Orthodoxe Kirche (MolOK) unter Metropolit Vladimir und die Metropolie von Bessarabien (MB) unter Metropolit Petru stehen demnach in heftiger Konkurrenz. Zahlenmäßig sei die MolOK noch die größere der beiden Kirchen, so Grigore.
Neue Entwicklungen stellten dieses Verhältnis allerdings zunehmend infrage: Immer mehr Gemeinden der MolOK wechseln unter der Führung ihrer Priester zur bessarabische Metropolie.
Die Rumänisch-orthodoxe Kirche und der rumänische Staat hätten diese Entwicklung sofort unterstützt, indem sie MB 200 Priesterstellen zuwiesen, welche die neuen Priesterübertritte auffangen sollen.
Zum genaueren Verständnis müsse man aber wissen, so Grigore, "dass orthodoxe Priester in Rumänien vom Staat bezahlt werden, was bedeutet, dass moldauische Priester, die von der MolOK zur MB übertreten, automatisch einen für die Republik Moldau überdurchschnittlichen Lohn erhalten".
Auch im kirchlichen Bereich sehe sich die MB mit Finanzmitteln des rumänischen Staates "geradezu überschüttet", habe dieser doch ein Memorandum unterzeichnet, ihr jährlich zwei Millionen Euro für Kulturprojekte der Kirche zu überweisen.
Entscheidung zwischen Russland und EU
Der aktuelle proeuropäische Kurs der Republik Moldau unter Präsidentin Maia Sandu mit ihrer Aktions- und Solidaritätspartei verschafft der MB Rückenwind. Treffen zwischen Metropolit Petru von Bessarabien und der Präsidentin seien keine Seltenheit. Grigore:
"Die proeuropäischen Kräfte sehen sich gezwungen, die Reihen zu schließen, wenn man bedenkt, dass die Kommunalwahlen im November 2023 von prorussischen Parteien haushoch gewonnen wurden, und dass das separatistische Transnistrien immer lauter nach Hilfe Moskaus gegen die 'Aggression' der Republik Moldau und Rumäniens ruft."
Wenig überraschend schlägt auch die MB einen proeuropäischen Kurs ein und befürwort - anders als die europakritische MolOK - Moldaus Integration in die EU.
Metropolit Petru, so Grigore, betone des Öfteren die Bemühungen der Metropolie, den "europäischen Weg" zu unterstützen. Diesen beschreibe er als einen Weg, der von Demokratie, Menschenrechten, Solidarität und Religionsfreiheit geprägt sei.
Identität des Landes auf dem Prüfstand
Der proeuropäische Diskurs in der Republik Moldau, sei er politisch oder kirchlich, geht Hand in Hand mit einem verstärkten Narrativ, dass die Moldauer Rumänen seien. Daher teilten Moldau und Rumänien eine gemeinsame Geschichte und Zukunft. Diese ideologische Agenda habe etwa Metropolit Petru von Bessarabien in einem Kommuniqué betont.
Er habe im Frühjahr auch die Bevölkerung ermutigt, sich bei der diesjährigen Volkszählung als Rumänen und nicht als Moldauer einzutragen. So signalisiere der Hierarch, "dass die rumänische Nation, Sprache und der orthodoxe Glaube die Eckpfeiler der moldauischen Identität seien". Grigore geht eingangs seines Beitrags auf die Hintergründe des aktuellen Kirchenstreits ein.
Bis zum Jahr 1812, als das sogenannte Bessarabien, das den Großteil der heutigen Republik Moldau umfasste, durch den Vertrag von Bukarest an das russische Zarenreich fiel, bildeten die beiden historischen Provinzen der heutigen rumänischen Region Moldau und Bessarabiens eine Einheit in der Form eines Fürstentums:
das Donaufürstentum der Moldau (zwischen den Ostkarpaten und dem Fluss Dnister/Nistru), das ab dem 13. Jahrhundert als Region greifbar wird und als eigenständige politische Entität 1359 gegründet wurde.
In kirchlicher und religiöser Hinsicht stand das Gebiet unter dem Einfluss der byzantinisch orthodoxen Diözesen entlang der Donau.
Einflussreich seien in diesem Gebiet zudem die ostslawische Metropolie von Kiew und die Erzdiözese Halytsch in der heutigen Ukraine gewesen.
Zwischen Russland und dem osmanischen Reich
Sie alle seien der kirchlichen Oberhoheit des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel unterstanden. In religiöser Hinsicht hätten sich die Fürsten der Moldau für den östlichen byzantinischen Ritus entschieden und 1386 die Metropolie der Moldau gegründet.
Ende des 15. Jahrhunderts wurde das Fürstentum gegenüber dem Osmanischen Reich tributpflichtig und im 17. Jahrhundert trat das Russische Zarenreich als neuer Akteur auf, "das mit einer imperialistischen Expansionspolitik seine Interessen in der Moldau durchzusetzen trachtete".
In diesem politischen Machtspiel habe die konfessionell kirchliche Zugehörigkeit der Moldau und seiner Bevölkerung eine wichtige Rolle gespielt, "die über Jahrhunderte hinweg bis heute zum Schlachtfeld konfessioneller Religionspolitik zwischen Orthodoxen, Katholiken und Protestanten wurden".
Der Vertrag von Bukarest aus dem Jahr 1812, der den sechsjährigen russisch-türkischen Krieg beendete, legte die Abtrennung einer Hälfte des Fürstentums Moldau zwischen den Flüssen Pruth und Dnister/Nistru - also Bessarabien - fest, die an das Zarenreich fiel.
Die hiesige Orthodoxie wurde in der Folge Gegenstand des Disputs zwischen Russischer und Rumänischer Orthodoxer Kirche. Nach dem Verlust Bessarabiens gingen die beiden Diözesen Hotin und Chisinau, die jenseits des Grenzflusses Pruth lagen, in die Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats über und bildeten als Erzdiözese Chisinau eine eigene kirchliche Einheit.
Ende des 19. Jahrhunderts habe in der Erzdiözese Chisinau eine aggressive Russifizierung der bessarabischen Orthodoxie begonnen, führt Grigore weiter aus. Russisch sei als kirchliche Verwaltungssprache obligatorisch geworden, so wie das Kirchenslawische in Abwechslung mit dem Russischen immer stärker den liturgischen Raum besetzte.
Deportationen von rumänischen Geistlichen
Aus Russland importierte Geistliche ersetzten rumänische Gemeindepriester, die zu Sekundärpriester herabgestuft wurden. Viele Dorfkirchen im ländlichen Bereich, wo der Widerstand gegen die Russifizierung anhielt, mussten schließen.
"Deportationen von rumänischen Laien und Geistlichen fanden statt. Klerikaler Nachwuchs wurde von nun am Theologischen Seminar in Odessa ausgebildet."
Die Spaltung der moldauischen Kirche bestand fast ein Jahrhundert lang. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Bessarabien wieder Teil Rumäniens. Die orthodoxe Kirche Bessarabiens kam wieder zur Rumänisch-orthodoxen Kirche, die Erzdiözese Chisinau bestand auf einem autonomen Status und war nicht damit einverstanden, wieder Teil der Metropolie der Moldau zu sein.
Vielmehr äußerte der Klerus östlich des Pruths den Wunsch, die Erzdiözese in den Rang einer Metropolie zu erheben, was 1927 auch geschah.
Die Orthodoxie der historischen Region Moldau war folglich nicht mehr in einer einzigen Metropolie organisiert, wie zwischen 1386 und 1812, sondern in zwei gleichgestellten unter der Jurisdiktion der Rumänisch-orthodoxen Kirchen. Dieses Kapitel endete 1939 mit dem Molotow-Ribbentrop-Pakt, als Bessarabien an die Sowjetunion fiel.
Somit kam auch die bessarabische Orthodoxie erneut unter die Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats.
Entspannung unter Kommunismus
Nach 1945 verlor die kirchliche Rivalität zwischen dem Rumänischen und dem Moskauer Patriarchat viel an Intensität, wurden doch beide Länder von repressiven atheistisch-kommunistischen Regimen regiert.
Die Ausrufung der Unabhängigkeit der ehemaligen Moldauischen Sowjetrepublik am 27. August 1991 brachte die historisch brisante Frage der Zugehörigkeit der moldauischen Kirche dann erneut auf den Tisch.
Die Metropolie von Bessarabien wurde 1992 von der Rumänisch-orthodoxen Kirche reaktiviert. Sie existiert seitdem unter Metropolit Petru (Paduraru) parallel zur MolOK, führte zunächst aber eher ein stiefmütterliches Dasein.
Erkannten die Behörden der Republik Moldau die MolOK 1993 doch offiziell unter dem Namen der Metropolie von Chisinau und ganz Moldau an. Diese wurde schon damals von Metropolit Vladimir (Cantarean) geleitet.
Dagegen wurde die MB von den moldauischen Regierungen lange nicht anerkannt. Sowohl die rumänischen staatlichen Behörden, "die die MB als Instrument im Dienst der rumänischen Nationalidee einsetzten", als auch die Rumänische Orthodoxe Kirche versuchten, Druck auf die moldauischen Stellen auszuüben, um eine offizielle Anerkennung zu erzwingen.
Sie klagten vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der die moldauischen Behörden verpflichtete, die MB anzuerkennen. Die moldauischen Behörden schoben die Umsetzung des Urteils jedoch lange hinaus, erst unter Druck kamen sie 2002 dem Urteil nach.
Trotz offizieller Anerkennung genoss die MB kaum Rückhalt in der moldauischen Gesellschaft, so der Kirchenhistoriker. Die meisten Orthodoxen des Landes verblieben weiterhin in der Obhut der MolOK.
Krieg in der Ukraine als Zäsur
Mit dem Ukraine-Krieg habe sich die Situation jedoch verändert, so Grigore: "Die MolOK, die seit 1994 einen autonomen Status innerhalb des Moskauer Patriarchats genießt, hat im Kontext der russischen Bedrohung erkannt, dass die Bevölkerung von der russischen Aggression verunsichert und verängstigt ist."
Grundsätzlich sei die Kirche, insbesondere Metropolit Vladimir, weiterhin prorussisch und anti-westlich ausgerichtet. Dies sei auch von einem Großteil der Bevölkerung lange mitgetragen worden.
Doch mit dem Krieg gebe es nun ein Umdenken in der Bevölkerung. "Die meisten Moldauer wollen nicht mehr unter der Energie-Erpressung Russlands leiden, sie wollen frei in Europa reisen und arbeiten können, sie haben Angst vor einer militärischen Intervention Russlands durch das Einfallstor Transnistrien", so Grigore.
Vor diesem Hintergrund habe Metropolit Vladimir in jüngerer Vergangenheit erstmals eine gewisse Kritik an Moskau geäußert. Diese habe sich jedoch nicht auf die Kriegstreiberei von Patriarch Kyrill bezogen.
Der Metropolit habe sich vielmehr daran gestört, dass Moskau die Autonomie der MolOK verletzt habe, indem es eigenhändig einen russischen Bischof in Transnistrien eingesetzt hatte, was es kanonisch gesehen nicht geben dürfte.
Allerdings war dies bereits 2010 passiert und der Metropolit habe dazu viele Jahre geschwiegen: "Es mussten 14 Jahre vergehen und ein Krieg Moldau und Russland separieren, dass Metropolit Vladimir irritiert vom Verlust von Gemeinden an die MB den Mut fand, Patriarch Kyrill zu kritisieren."
Grigore: "Mit der Ernennung von Sava (Volkov) zum Bischof von Tiraspol und Dubasari in Transnistrien konkretisierte sich schon im Jahr 2010 ein weiteres Element der russischen hybriden Kriegsführung in der Republik Moldau, da dieser nicht nur direkt aus Moskau geschickt wurde, sondern bis zu seiner Ernennung auch die wichtige Funktion der Leitung der Abteilung des Moskauer Patriarchats für die Interaktion mit den Streitkräften und den Strafverfolgungsbehörden erfüllte."
Der russische Bischof von Transnistrien sei jedenfalls ein "maßgeschneiderter Aparatschik".
Eine weitere Annäherung der MolOK an das Moskauer Patriarchat sieht Grigore derzeit nicht, allerdings auch keine Annäherung der MolOK in Richtung Rumänisches Patriarchat. Fazit: "Die kirchliche Lage bleibt somit weiterhin unklar und ist abhängig von den weiteren politischen Entwicklungen."