Missbrauch - wie sehr das Thema die Gemüter weiterhin erhitzt, zeigte sich zuletzt im Bistum Münster. Zwei Missbrauchsfälle waren dort kurz hintereinander öffentlich geworden, Fälle freilich, die so manchem Verantwortlichen in der Diözese schon längst bekannt waren. Und doch waren die beiden Priester über Jahre weiter in der Seelsorge tätig.
Bei Infoabenden in den betroffenen Gemeinden ging es entsprechend hoch her. Bischof Felix Genn, Weihbischof Stefan Zekorn und Generalvikar Klaus Winterkamp mussten sich den bohrenden Fragen der erbosten Gläubigen stellen. Der Vorwurf der Vertuschung stand mehr als einmal im Raum.
Auffällig bei diesen sowie ähnlichen Veranstaltungen in anderen Bistümern: Es melden sich regelmäßig Menschen zu Wort, die selbst Opfer sexuellen Missbrauchs durch Geistliche geworden sind. Die Zeiten der Angst und des Schweigens scheinen endgültig vorbei. Die Betroffenen gehen an die Öffentlichkeit und verlangen Konsequenzen.
Früherer Hamburger Erzbischof Thissen übernimmt Verantwortung
Doch die Amtsträger und ihre emeritierten Vorgänger tun sich noch immer schwer damit, persönlich Verantwortung zu übernehmen. Als erster überhaupt tat das Anfang November der frühere Hamburger Erzbischof Werner Thissen, allerdings nicht in dieser Eigenschaft, sondern als langjähriger Personalchef und Generalvikar des Bistums Münster. In einem Interview des bistumseigenen Portals Kirche-und-Leben.de gab Thissen einen ungeschönten Einblick in die Untiefen kirchlicher Personalführung - und bekannte selbst "schwere Fehler". Von Fehlern sprach später auch Bischof Genn in einem der erwähnten Missbrauchsfälle.
Besonders interessant an dem Thissen-Interview: Indirekt sprach er auch einen jener viel zitierten "systemischen Fehler" der Kirche an, die schon die 2018 veröffentliche Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz benennt: die fehlende professionelle Distanz zwischen Bistumsleitung und Tätern sowie das daraus resultierende Bemühen, die Sache "im klerikalen Bereich" zu halten.
Bei diesen systemischen Ursachen setzt der nicht unumstrittene Synodale Weg an, den die Kirche - nach einem symbolischen Auftakt am ersten Adventssonntag - vom kommenden Jahr an beschreiten will. Die rigide katholische Sexualmoral wird hier ebenso genannt wie der Pflicthzölibat, die Machtstellung des Priesters sowie der Ausschluss von Frauen von Weiheämtern. Genau diese vier Themen sind auch Schwerpunkte beim Synodalen Weg.
Woher soll das Geld für Entschädigungszahlungen kommen?
Eine aus dem Missbrauchsskandal resultierende Frage beschäftigt die Bischöfe: die der Entschädigung von Missbrauchsopfern. Im September schlug eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung von Kirchenvertretern und Opfern zwei sehr teure Modelle vor: eine Pauschale von 300.000 Euro pro Opfer (ohne Überprüfung der Fälle) oder ein abgestuftes Verfahren, bei dem je nach Schwere zwischen 40.000 und 400.000 Euro gezahlt werden.
Das sorgte für Proteste nicht nur bei ärmeren Bistümern und Orden. Kritiker sprachen von bundesweit bislang nie gezahlten Summen, die das gesamte System der Opferentschädigung aus dem Gleichgewicht bringen könnten. Auch die evangelische Kirche blickt bangend auf die Diskussion bei den Katholiken.
Aber nicht nur die Höhe der Summe ist umstritten. Die Frage, woher das Geld kommen soll, wird von unterschiedlichen Kirchenvertretern ebenfalls unterschiedlich beantwortet. Der Trierer Bischof Stephan Ackermann etwa betonte, es müssten auch Kirchensteuermittel verwendet werden; die Kirchenmitglieder seien als Solidargemeinschaft in der Pflicht. Dem widersprach nicht nur das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), sondern auch etliche Amtsbrüder, darunter die Bischöfe von Mainz und Limburg. Sie warnen - ähnlich wie etwa auch Jesuitenpater Klaus Mertes - davor, das gesamte Kirchenvolk via Kirchensteuer für den Missbrauchsskandal in Haftung zu nehmen.
Das kommende Jahr dürfte somit spannend werden. Werden weitere Bischöfe persönliches Versagen eingestehen, gar Konsequenzen ziehen?
Wird sich die Kirche auf ein Entschädigungsverfahren einigen, so wie sich sich im Dezember noch auf verschärfte Leitlinien zum Umgang mit sexuellem Missbrauch geeinigt hat? Wie wird sich die Abschaffung des "Päpstlichen Geheimnisses" bei der Verfolgung von Missbrauchsstraftaten in der Praxis auswirken? Und nicht zuletzt: Wird der Synodale Weg zum erhofften Ziel führen? Sicher ist einstweilen nur: Das Thema Missbrauch wird die Kirche auch 2020 beschäftigen.