Deutsche sehen bei Holocaust Verantwortung, aber keine Schuld

Erinnerungskultur 4.0

Wie erinnern sich die Deutschen an eines der dunkelsten Kapitel ihrer Geschichte? Eine Studie versucht, darauf Antworten zu geben. Vor allem die Jüngeren informieren sich dazu im Internet.

Autor/in:
Birgit Wilke
Holocaust-Mahnmal in Berlin / © Maurizio Gambarini (dpa)
Holocaust-Mahnmal in Berlin / © Maurizio Gambarini ( dpa )

Laut einer neuen Studie sind die Deutschen ziemlich geschichtsbewusst: Weit über die Hälfte der Befragten interessiert sich für die deutsche Geschichte eher stark (32,5 Prozent) oder sogar sehr stark (27,7 Prozent). Auch die entsprechende Bildung in der Schule ist den Befragten wichtig: 79,2 Prozent ist demnach der Geschichtsunterricht sehr wichtig. Schüler könnten dadurch lernen, welchen Schaden Rassismus anrichten könne (78 Prozent). Noch mehr, nämlich 84,3 Prozent, denken, dass der Unterricht dazu beitragen könne, dass der Nationalsozialismus nicht zurückkommt.

Die Zeitzeugen, die in einen solchen Unterricht eingeladen werden, sterben allerdings aus. Zudem kann natürlich ihre Erinnerung, die sie dann weitergeben, trügerisch sein. Auch das ließen die Wissenschaftler der Universität Bielefeld abfragen. So scheint bei den Befragten die Vorstellung nach einer Relation von ihnen bekannten Tätern und Opfern in der Zeit des Nationalsozialismus zu verschwimmen.

Ein Ding der Unmöglichkeit

So bejahten laut der Studie 17,6 Prozent der Befragten, dass unter ihren Vorfahren Täter des Zweiten Weltkriegs gewesen seien. Ähnlich viele Menschen (18 Prozent) gaben an, ihre Vorfahren hätten in der Zeit potenziellen Opfern geholfen. Etwas mehr als die Hälfte der Interviewten (54,4 Prozent) erklärte, dass unter ihren Verwandten Opfer des Zweiten Weltkriegs seien. Nach den historischen Quellen ein Ding der Unmöglichkeit.

Ein weiteres Ergebnis der Studie: Das Internet ist immer häufiger der Ort, an dem die Befragten etwas über den Holocaust erfahren. Das seien bei den 16- bis 30-Jährigen rund 94 Prozent, bei den über 76-Jährigen immerhin rund 74 Prozent. Zugleich gaben die Befragten an, dass ihr Bild von der Zeit des Nationalsozialismus aber viel stärker etwa durch den Geschichtsunterricht oder den Besuch von Gedenkstätten geprägt werde.

NS-Geschichte im Netz aufbereiten

Der Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, Andreas Zick, der für die Studie in den vergangenen Wochen rund 1.000 Deutsche von 16 bis 92 Jahren befragen ließ, plädiert deshalb für neue Formen des Gedenkens, "für eine Erinnerungskultur 4.0". Dafür müssten unter anderem historische Einrichtungen die NS-Geschichte im Netz besser aufbereiten. Weiter fordert Zick andere Schulbücher. Derzeit werde darin oft ein einfaches Bild von Tätern und Opfern vermittelt, das habe sich in der Studie gezeigt, so Zick.

Mit einer anderen, oft von AfD-Vertretern geäußerten These räumt die Studie auf: Ein "Schuldkult" der Deutschen lasse sich nicht belegen, so Zick. Eine Mehrheit der Deutschen fühlt sich laut Studie nicht mitschuldig am Holocaust. Bei einer Untersuchung verneinten 55,7 Prozent der Befragten die Aussage, dass sie persönlich eine Mitschuld für die Gräueltaten der Nationalsozialisten empfänden. Insgesamt rund 10 Prozent stimmten der Aussage "eher zu" und "stark zu".

Verantwortung empfinden

In der AfD wird ein solcher "Kult" immer wieder thematisiert: So hatte etwa der thüringische AfD-Vorsitzende Björn Höcke das Berliner Holocaust-Mahnmal in seiner Dresdner Rede im Januar 2017 ein "Denkmal der Schande" genannt und von "dämlicher Bewältigungspolitik" gesprochen. Als Vorredner hatte der heutige AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier damals einen angeblichen "Schuldkult" für "endgültig beendet" erklärt.

Auch der Vorstandsvorsitzende der Stiftung EVZ und Mitinitiator der Studie, Andreas Eberhardt, erklärt bei der Vorstellung, die Rede von einem "Schuldkult" sei Nonsens. Schuldig könne sich nur fühlen, wer persönlich involviert gewesen sei. Die Studie habe aber gezeigt, dass die in Deutschland lebenden Menschen aber durchaus eine Verantwortung für den Umgang mit diesem Teil der Geschichte empfänden.


Quelle:
KNA
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