Deutscher Student berichtet von Jerusalem-Aufenthalt in Kriegszeiten

Theologisches Studienjahr läuft weiter

16 deutschsprachige Studierende des Theologischen Studienjahrs mussten letzten Oktober Jerusalem verlassen - die Situation galt als zu gefährlich. Nun sind sie wieder zurück. Einer von ihnen erzählt hier von seinen Erlebnissen.

Autor/in:
Elena Hong
Menschenleerer Tempelberg / © Andrea Krogmann (KNA)
Menschenleerer Tempelberg / © Andrea Krogmann ( KNA )

DOMRADIO.DE: Acht Monate leben und lernen in Jerusalem, die heiligen Stätten live erleben - darauf haben Sie sich gefreut. Wie haben Sie auf die Nachricht reagiert, Jerusalem verlassen zu müssen? Einen Teil des Studienjahrs haben Sie ja in Rom verbracht.

Noah Adrian Walczuch (Student der Theologie an der Universität Regensburg): Die Nachricht, dass wir Jerusalem verlassen müssen, kam wirklich total unerwartet. Wir wollten am 1. Oktober eine Exkursion ins Israel Museum machen. Das Museum war plötzlich zu. 

Der Museumswärter stand vor der Tür und verbot uns einzutreten. Er meinte, das sei eine Anweisung von oben. Und wir haben uns schon gefragt, was das jetzt für eine merkwürdige Situation ist und haben unsere Nachrichtenapps geöffnet. Dort stand dann schon die Schlagzeile: "USA warnt Israel vor einem iranischen Raketenangriff". 

Noah Adrian Walczuch auf dem Tempelberg / © Noah Adrian Walczuch (privat)
Noah Adrian Walczuch auf dem Tempelberg / © Noah Adrian Walczuch ( privat )

Es war schon eine ganz seltsame Stimmung auch unter uns Studierenden. Wir sind dann sofort zurück zu unserem Studienhaus und hatten dann erfahren, dass wir Jerusalem unverzüglich verlassen müssen. Und just in dem Moment gehen dann alle Handys an, alle Raketen-Warnapps klingelten und wir mussten in den Luftschutzbunker gehen. 

Noah Adrian Walczuch

"Alle Raketen-Warnapps klingelten und wir mussten in den Luftschutzbunker gehen." 

Wir haben glücklicherweise in unserem Haus einen Luftschutzbunker und hatten dann dort circa ein bis zwei Stunden verbracht und draußen die Raketen gehört, die abgefangen wurden. Das war eine sehr bedrückende Situation, zu wissen, dass wir Jerusalem verlassen müssen und nicht zu wissen, was kommen wird. 

Petersdom in der Ferne, im Vordergrund ein Souvenir-Stand mit bunten Kappen mit Italia-Aufschrift am 6. Oktober 2023 in Rom, Italien. / © Alessia Giuliani/CPP (KNA)
Petersdom in der Ferne, im Vordergrund ein Souvenir-Stand mit bunten Kappen mit Italia-Aufschrift am 6. Oktober 2023 in Rom, Italien. / © Alessia Giuliani/CPP ( KNA )

Wir wussten zwar, dass es nach Rom geht, aber ob das alles so spontan geplant werden konnte, ob wir Räume finden in Rom, das wussten wir alles nicht. 

Dank des Organisationstalents unserer Leitung hat es dann alles relativ gut funktioniert und wir haben aus den letzten sieben Tagen in Jerusalem versucht, alles herauszunehmen, was geht.  

Wir wussten nämlich überhaupt nicht, ob wir wieder zurückkommen können oder nicht. Wir sind dann mit einem mulmigen Gefühl nach Rom gegangen. Auf der einen Seite ist es eine komplett neue Stadt, eine komplett neue Situation, die einem jetzt geschenkt wird, auch neue Chancen. Auf der anderen Seite musste man Abschied nehmen, wo man sich eigentlich gerade erst langsam zu Hause gefühlt hat. 

DOMRADIO.DE: Das heißt also mehr Enttäuschung und nicht die große Freude darüber, noch mal eine zweite Auslandserfahrung mitzunehmen?

Walczuch: Ja, die Enttäuschung war deutlich größer. Bei mir und auch beim Großteil unserer Gruppe. Ich gehöre sicherlich zu den Leuten unter uns, die mit Rom noch am meisten anfangen konnten. Ich wollte schon immer mal in Rom studieren. Dass das jetzt so spontan möglich gewesen worden war, hätte ich mir nie erträumt. 

Und ich würde schon sagen, dass sich im Laufe der Zeit, so auch bei vielen anderen in unserer Gruppe die Stimmung verändert hatte. Auch wenn man da vielleicht nicht die Vielfalt der Religionen kennenlernen kann, sondern eher die Vielfalt der katholischen Kirche, die ja in Rom zusammenkommt. Das stellte sicherlich für die Protestantinnen und Protestanten in unserer Gruppe erst mal eine Herausforderung dar. Viele unter ihnen waren noch nie in Rom gewesen und wussten nicht, was sie erwartet. 

Das Studienjahr mit dem Patriarchen von Jerusalem, Kardinal Pizzaballa (privat)
Das Studienjahr mit dem Patriarchen von Jerusalem, Kardinal Pizzaballa / ( privat )

Wir hatten viele Gespräche mit Leuten aus der ganzen Welt, die in Rom vor Ort waren. Denn zu dieser Zeit war die Weltsynode. Wir hatten Gespräche mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern, mit Synoden-Vätern und -Müttern, wie man so schön sagt. Und auch das war wahnsinnig interessant. Das wäre in Jerusalem nie möglich gewesen. 

Und deswegen würde ich sagen, dass durch diese große Gastfreundschaft der Benediktiner auf dem Aventin, die uns Zimmer gegeben haben, uns einen Vorlesungssaal zur Verfügung gestellt haben, dass wir dadurch einen wahnsinnig guten Start hatten und letztlich auch eine gesamte Zeit, auf die wir jetzt alle dankbar zurückschauen können.

DOMRADIO.DE: Trotzdem muss man ja sagen, dass das Curriculum des Studienjahrs inhaltlich gezielt zugeschnitten ist auf Israel. Konnten Sie die Zeit in Rom an der päpstlichen Benediktinerhochschule Sant'Anselmo trotzdem nutzen? Also hat es Ihnen auch etwas fürs Studium gebracht? 

Walczuch: Auf jeden Fall. Auf der einen Seite ist das Studienjahr in der Tat auf Jerusalem zugeschnitten, aber wir hatten den Vorteil, dass andere schon mal einen Nachteil hatten: Und zwar der Corona-Jahrgang 2020. 

Der Blick vom Studienhaus Beth Josef auf die Dormitio-Abtei (privat)
Der Blick vom Studienhaus Beth Josef auf die Dormitio-Abtei / ( privat )

Der war nämlich auch schon in Rom gewesen und dementsprechend hatte unsere Dekanin, Professorin Johanna Erzberger, schon Rom-Erfahrungen sammeln können, hatte schon viele Kontakte in Rom und dementsprechend ging es diesmal auch einfacher, das Programm noch mal auf Rom anzupassen.

DOMRADIO.DE: Jetzt ging es zurück nach Jerusalem, gerade auch über die Weihnachtsferien, also die Feiertage, Weihnachten, Silvester in Israel. Wie haben Sie diese Tage erlebt zum Ende des vergangenen Jahres und den Jahreswechsel? 

Walczuch: Die Freude war tatsächlich eine doppelte Freude. Wir hatten erst ein paar Tage vorher Bescheid bekommen, dass wir jetzt zurück können und unser Traum wieder in Erfüllung geht. Wir werden trotzdem noch vier Monate in Jerusalem haben, was ja doch noch eine ganze Zeit ist. 

Noah Adrian Walczuch

"So konnten wir eben Weihnachten in Bethlehem feiern. Das war schon eine wahnsinnig auch tief spirituell prägende Erfahrung."

So konnten wir Weihnachten in Bethlehem feiern. Das war schon eine wahnsinnig tief spirituell prägende Erfahrung für mich persönlich. Es klingt auf der einen Seite sehr romantisch, irgendwie nachts in der Weihnachtsnacht nach Bethlehem zu pilgern, was sicherlich auch auf der einen Seite so war. 

Trotzdem war das Erlebnis letztlich von der Situation auch geprägt, dass eben das Land so tief gespalten ist. Wir mussten über die Grenzkontrolle drüber. Hatten dann trotzdem ein schönes Weihnachtsfest. Auch mit dem Hintergrund, dass wahnsinnig wenige Touristen dort waren, aber trotzdem eine gewisse Weihnachtsstimmung in der Luft lag. Nicht so sehr in Jerusalem. 

24.12.2024: Die Sonne geht über den Häusern auf einem Hügel der Stadt Bethlehem im Westjordanland am Heiligabend auf. Foto: Matias Delacroix/AP / © Matias Delacroix/AP (dpa)
24.12.2024: Die Sonne geht über den Häusern auf einem Hügel der Stadt Bethlehem im Westjordanland am Heiligabend auf. Foto: Matias Delacroix/AP / © Matias Delacroix/AP ( dpa )

Bei drei Prozent Christen in Israel merkt man das doch ganz klar, dass das kein Fest ist, was die Menschen hier vor Ort stark bewegt. Aber in der Dormitio-Abtei, in der deutschen Bubble letztlich ist es natürlich trotzdem hoch gehalten und letztlich auch ganz tief, konnte man ganz tief verspüren, dass da jetzt Weihnachten in Bethlehem doch was Besonderes ist. 

Und wir hatten dann Weihnachtsferien und meine Mutter und mein Bruder kamen mich besuchen. Da durfte ich eine Woche lang meine Lieblingsorte zeigen und Tourguide spielen. Das hat mir auch noch mal gezeigt, dass ich mich hier wirklich zu Hause fühle.

Neujahr war gar nicht so besonders, wie ich dachte, denn Jüdinnen und Juden haben ja einen anderen Kalender und dementsprechend gar kein so richtiges Neujahrsfest am ersten Januar, wie wir uns das vorstellen. 

Aber auch da konnten wir in unserer Studiengruppe in das neue Jahr rein feiern und hatten schöne Tage. Und jetzt sitze ich gerade hier in Jordanien. Wir sind gerade auf unserer Exkursion, die sieben Tage lang dauert und das ist auch unser offizieller Start in die zweite Hälfte des Studienjahres. 

DOMRADIO.DE: Es läuft einer der schlimmsten derzeitigen Kriege in diesem Land. Wie gehen Sie und Ihre Komilitoninnen und Komilitonen eigentlich mit dieser Spannung um? 

Walczuch: Auf der einen Seite merkt man - das hat mich wirklich schockiert, gerade als ich am Anfang hier angekommen bin - fast nichts vom Krieg, wenn man durch die Straßen Jerusalems läuft. Bis auf die eine Tatsache, dass so wenige Touristinnen und Touristen da sind. 

Wenn man weiß, das nur wenige Kilometer weiter so viele zigtausende Menschen leiden und sterben, dann ist es schockierend, dass, man nichts davon mitkriegt. Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass ich sehr dankbar bin, für die Erfahrungen vor Ort zu sein, diesen Konflikt eben durch eigene Augen betrachten zu können. 

Palästinenser inspizieren die Trümmer eines zerstörten Hauses. / © Abed Rahim Khatib (dpa)
Palästinenser inspizieren die Trümmer eines zerstörten Hauses. / © Abed Rahim Khatib ( dpa )

In dem Sinn, dass man mit den Menschen sprechen kann und beide Seiten kennenlernt. Das habe ich jetzt noch mal schätzen gelernt, wenn man Palästinenserinnen und Palästinenser in Ostjerusalem selbst treffen kann, die eigene Eindrücke beschreiben. 

Noah Adrian Walczuch

"Ich habe das Gefühl, umso länger ich da bin, hier in Jerusalem, umso weniger traue ich mich, mich zu diesem Konflikt auch irgendwie zu äußern."

Ich habe mich auf der anderen Seite sehr gut mit einem angehenden Rabbi befreundet in Jerusalem, der natürlich auch noch mal eine eigene Perspektive auf den ganzen Konflikt hat. Aber ich habe das Gefühl, umso länger ich da bin, hier in Jerusalem, umso weniger traue ich mich, mich zu diesem Konflikt irgendwie zu äußern, weil ich diese Komplexität immer mehr verstehe. 

DOMRADIO.DE: Sie fühlen sich aber sicher? 

Walczuch: Ja, also das würde ich wirklich noch mal betonen, auch für diejenigen, die sich fürs nächste kommende Studienjahr bewerben wollen. Natürlich ist mal ein Raketenalarm in der Stadt, gerade jetzt auch durch die Huthis im Jemen zwei, dreimal in den letzten Wochen. 

Aber nichtsdestotrotz ist die Situation in dem Sinne sicher, dass Jerusalem mit den Heiligtümern, die Jerusalem birgt, für alle Religionen ein Ort ist, der in besonderer Weise auch geschützt werden muss und die Situation dann doch so ist, dass Jerusalem als moderne Stadt allen Menschen letztlich auch Schutz bietet. So ist man hier sicher, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint. 

Das Interview führte Elena Hong.

Theologisches Studienjahr Jerusalem

Das sogenannte Theologische Studienjahr in Jerusalem ist ein intensives Lehr- und Lernprogramm für deutschsprachige Theologiestudierende. Das zweisemestrige Aufbaustudium findet normalerweise an der Benediktiner-Abtei Dormitio auf dem Zionsberg am Rand der Jerusalemer Altstadt statt.

Dormitio Abtei in Jerusalem / © Karin Wabro (shutterstock)
Dormitio Abtei in Jerusalem / © Karin Wabro ( shutterstock )
Quelle:
DR