Diakonie-Präsident kritisiert fehlende Unterstützung

"Tafeln keine Antwort auf strukturelle Armut"

Nach der Kritik am Aufnahmestopp für Ausländer an der Essener Tafel fordert Diakonie-Präsident Ulrich Lilie mehr Anstrengungen im Kampf gegen die Armut in Deutschland und nimmt gleichzeitig die Politik in die Verantwortung.

Kunden der Essener Tafel stehen mit ihren Einkaufstrolleys vor der Ausgabestelle / © Roland Weihrauch (dpa)
Kunden der Essener Tafel stehen mit ihren Einkaufstrolleys vor der Ausgabestelle / © Roland Weihrauch ( dpa )

Die Vorgänge in Essen seien "auch ein klares Indiz für Versäumnisse in der Politik", sagte der Chef des evangelischen Wohlfahrtverbandes, Ulrich Lilie, am Samstag dem Deutschlandfunk Kultur. Die Tafeln seien eine "wunderbare Bewegung", die an vielen Stellen Not lindern, so Lilie: Sie seien aber "keine Antwort auf das strukturelle Armutsproblem in Deutschland". Bundesweit gibt es rund 940 Tafeln, die überschüssige Lebensmittel sammeln und damit regelmäßig bis zu 1,5 Millionen Menschen versorgen.

Diakonie-Präsident Lilie / © Norbert Neetz (epd)
Diakonie-Präsident Lilie / © Norbert Neetz ( epd )

Lilie: "Wir müssen darüber reden, wie wir mit Armut strukturell umgehen wollen, wie wir die Hartz-IV-Sätze besser machen." Die Regelsätze müssten dringend angepasst werden, mahnte Lilie. In Städten mit einer relativ hohen Zahl an Bedürftigen kämen zudem nun noch Flüchtlinge hinzu. Daher zeige sich hier auch ein Integrationsproblem.

Armutsbekämpfung neu überdenken

Zu den Vorgängen in Essen sagte Lilie, er wolle von außen keine Ratschläge geben. Die Entscheidung bezeichnete er als "unglücklich". Er wäre sinnvoll gewesen, man hätte sich vorher Beratung geholt, etwa vom Sozialdezernenten der Stadt. Eine solche Abstimmung hätte die Situation wohl entschärft.

Lilie forderte insgesamt einen neuen Ansatz zur Armutsbekämpfung in Deutschland. Ein Mittel dazu seien zum Beispiel kommunale Runde Tische. Wo in dieser Form mehr Austausch zwischen den Trägern stattfinde, gebe es oft weniger Probleme. Zudem bestehe ein hoher Abstimmungsbedarf mit der Politik.

Entscheidung mit Folgen

Die Essener Tafel steht bundesweit in der Kritik, nachdem bekanntgeworden war, dass sie nur Bedürftige mit deutschem Pass als neue Kunden aufnehmen will. Die Essener Tafel begründet ihr Vorgehen damit, dass der Anteil der Migranten unter den 6.000 Kunden der Tafel seit 2015 von rund 35 auf 75 Prozent gestiegen sei. Vor allem alte Leute und alleinerziehende deutsche Mütter hätten sich bei der Lebensmittelausgabe nicht mehr wohl und durch Zuwanderer bedrängt gefühlt. Neben Kritik gibt es aber auch Verständnis dafür, dass die Tafeln überfordert sind.

Tafeln in Deutschland

Die bundesweit agierenden Tafeln haben sich in den vergangenen 20 Jahren zu einer der größten sozialen Bewegungen in Deutschland entwickelt. Waren es 2002 noch gut 300, gibt es heute bundesweit etwa 900 Tafeln mit rund 2.100 Tafel-Läden und Ausgabestellen. Bei ihnen engagieren sich circa 60.000 ehrenamtliche Mitarbeiter. Alle zusammen versorgen sie mehr als 1,5 Millionen Menschen mit Lebensmitteln, die sie als Spenden im Handel und bei Herstellern gesammelt haben.

Helfer sortieren  Salat bei der Lebensmittelausgabe in der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln / © Harald Oppitz (KNA)
Helfer sortieren Salat bei der Lebensmittelausgabe in der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
epd