DOMRADIO.DE: Pfarrer Meurer, wie ist die Situation in Ihren Gemeinden?
Pfarrer Franz Meurer (Pfarrer in den Kölner Stadtteilen Höhenberg und Vingst): Bei uns liegt die Kinderarmut bei 42 Prozent. Rund 28 Prozent der Haushalte sind überschuldet. Wir geben seit 30 Jahren Lebensmittel aus - leider und zum Glück. Leider, weil es noch nötig ist, zum Glück für die Leute, weil die sagen: Bitte macht weiter.
Bei uns ist es so: Jede Abteilung ist ihre eigene Firma. Das heißt, die Leute von der Lebensmittelausgabe, der Kleiderkammer, den Werkstätten, organisieren sich selbst. Bei der Lebensmittelausgabe funktioniert das deshalb so gut, weil alles ganz klar geregelt ist, sehr streng. Der Chef ist ein großer, jüngerer Mann, der das ehrenamtlich jeden Dienstag macht. Auf den hören alle. Bei uns bekommt jeder eine Wartemarke. Du weißt also, wann die drankommst.
DOMRADIO.DE: Als Sie die Entscheidung der Essener Tafel gehört haben, wie haben Sie da reagiert?
Meurer: Die haben mir leidgetan, die werden offensichtlich überrannt. Die Chefin der großen Kölner Tafel hat ganz klar gesagt: Auf keinen Fall werden wir zwischen den Leuten sortieren. Das einzige ist, das manche Ausgaben sagen: Wir sind nur für die Leute aus unserem Viertel zuständig.
Klare Regeln sind wichtig. Wir geben jeden Dienstag an 350 bis 400 Leute Lebensmittel aus. Bei uns können die Leute ab 8 Uhr morgens kommen. Die Märkchen gibt es erst ab 13 Uhr. Warum kommen die schon um 8 Uhr? Die stellen ihre Einkaufswagen in Reihe hin. Dann stehen da schonmal 50 bis 60 Einkaufswagen als Platzhalter. Die kriegen um 13 Uhr die ersten Märkchen. Bei schönem Wetter sitzen die Leute da, trinken Kaffee, spielen Karten. Da haben wir extra jede Menge Tische und Bänke aufgestellt. Das heißt, sobald gutes Wetter ist, ist das auch ein Treffpunkt.
DOMRADIO.DE: Bei Ihnen klingt das so, dass genug für die Leute da ist, die kommen.
Meurer: Ja, sicher. Es ist genug da. Erstens, weil wir nicht nur von der Tafel Lebensmittel bekommen, sondern auch von der Brotfabrik. Es gibt auch Leute, die Lebensmittel aus Geschäften vorbeibringen. Manche älteren Damen machen Marmelade und bringen die vorbei. Es ist auf jeden Fall genug da.
DOMRADIO.DE: Wie wäre das denn, wenn jetzt nicht genug da wäre. Da muss ja irgendwann entschieden werden: Wonach verteilen wir? Es sollte ja eigentlich nach Bedürftigkeit gehen.
Meurer: Wie wollen Sie das denn machen? Das ist ein typisch bürgerliches Denken. Wie wollen Sie das denn alles sortieren? Das geht doch gar nicht.
Bei uns müssen die Leute schon beim ersten Mal eine Bescheinigung mitbringen, dass sie eine ganz kleine Rente haben, Hartz-IV-Empfänger sind oder von Sozialhilfe leben. Im Computer bei uns sind über 3000 Leute erfasst. Davon kommen eben 350 bis 400 jeden Dienstag. Am Monatsende kommen mehr. Nochmal: Die tun mir leid in Essen. Denn offensichtlich ist die Not da so groß, dass die es nicht mehr bewältigt bekommen. Das ist schlimm. Da bin ich froh, dass das bei uns nicht so ist.
Das Interview führte Silvia Ochlast.