An Anerkennung für ihre Arbeit sind sie gewöhnt, die Tafeln für Bedürftige - doch nun steht die Essener Tafel bundesweit in der Kritik. Nachdem bekanntgeworden war, dass sie derzeit nur Bedürftige mit deutschem Pass als neue Kunden aufnimmt, blieben am Freitag die Reaktionen nicht aus. Politiker, Verbände und Armutsforscher wandten sich gegen den Essener Beschluss. Es gab aber auch Verständnis für die Überlastung der ehrenamtlichen Lebensmittel-Verteiler.
Kritik von Politikern
Bundessozialministerin Katarina Barley (SPD) sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), eine Gruppe von Menschen pauschal auszuschließen, fördere Vorurteile und Ausgrenzung. Es müsse klar sein, dass Bedürftigkeit das Maß sei "und nicht der Pass", erklärte Barley. Zugleich bescheinigte die SPD-Politikerin den Ehrenamtlichen "großen persönlichen Einsatz". Die Tafeln in Deutschland leisteten einen wertvollen Beitrag bei der Unterstützung der Schwächsten in Deutschland.
Der nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU), äußerte sich ähnlich. "Nächstenliebe und Barmherzigkeit kennen grundsätzlich keine Staatsangehörigkeiten", sagte er. Der sozial-politischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag NRW, Josef Neumann, erklärte, die Tafeln müssten wegen des hohen Zulaufs vor Ort verstärkt unterstützt werden. Die örtlichen Beteiligten wie Kommunen, Wohlfahrtspflege seien aufgerufen, unverzüglich Lösungen zu suchen.
Die Vorsitzende des Sozialausschusses im Bundestag, Kerstin Griese (SPD), erklärte, die Essener Entscheidung mache sie "fassungslos". Auf Geschubse und Gedrängel mit dem Ausschluss nichtdeutscher Hilfesuchender zu reagieren, "ist eine nicht akzeptable Diskriminierung, die an Rassismus grenzt", sagte sie. Griese, die selbst aus Nordrhein-Westfalen kommt, forderte die Verantwortlichen auf, schnell Konsequenzen zu ziehen.
Dachverband zeigt Verständnis
Die Essener Tafel begründet ihr Vorgehen damit, dass der Anteil der Migranten unter den 6.000 Kunden der Tafel seit 2015 von rund 35 auf 75 Prozent gestiegen sei. Vor allem alte Leute und alleinerziehende deutsche Mütter hätten sich bei der Lebensmittelausgabe nicht mehr wohl und durch Zuwanderer bedrängt gefühlt.
Der Dachverband der Tafel zeigte Verständnis. Zwar sei die Bedürftigkeit und nicht die Herkunft entscheidend. Wenn einzelne Tafeln davon eine Ausnahme machen müssten, liege das an der Situation vor Ort, "die für die Ehrenamtlichen organisatorisch nicht mehr anders händelbar sind", erklärte der Verbandsvorsitzende Jochen Brühl.
Wohlfahrtspflege: Nahrung für Populismus
Die Wohlfahrtsverbände warnten vor einer Konkurrenz unter den Empfängern von Spenden. Caritas-Präsident Peter Neher sagte der "Osnabrücker Zeitung» (Samstag), die Essener Entscheidung bereite ihm Sorgen. Er warnte vor "einer populistischen Debatte, die hilfebedürftige Menschen verletzt". Diakonie-Präsident Ulrich Lilie erklärte, wenn ein Hilfsangebot Menschen anhand ihrer Herkunft ausschließe, "verschärft dies die Spaltung der Gesellschaft". Solche Fehlentwicklungen zeigten aber auch die Versäumnisse der Politik.
Der Vorsitzende der Freien Wohlfahrtspflege NRW, Christian Heine-Göttelmann, unterstrich, Bedürftigkeit entscheide sich nicht an der Herkunft. Die öffentliche Wirkung der Maßnahme sei "fatal, weil sie dem Rechtspopulismus Nahrung gibt", sagte der Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe in Düsseldorf dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Schockenhoff: Nachvollziehbare Entscheidung
Die Entscheidung der Essener Tafel, einen Aufnahmestopp für Ausländer zu verhängen, ist nach Ansicht des katholischen Moraltheologen Eberhard Schockenhoff nachvollziehbar. "Es ist nicht optimal. Aber wenn es tatsächlich so war, dass sich ältere Nutzer und alleinerziehende Mütter ausgeschlossen gefühlt haben, ist das auch nicht im Sinn einer Tafel", sagte Schockenhoff im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Freitag in Freiburg.
Tafeln sollten eine ausgewogene Kundschaft haben. Schockenhoff spricht sich dafür aus, dass in solchen Fällen weitere Angebote für Hilfsbedürftige gemacht werden. "Im Zweifelsfall muss man eine zweite Tafel eröffnen", sagte Schockenhoff. Man müsse sicherstellen, dass alle einen "guten Zugang zu Tafeln" haben.
Ersatz für staatliche Sozialleistungen?
Die Tafeln würden als Ersatz für staatliche Sozialleistungen benutzt, sagte der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge dem epd. Damit seien sie überfordert. Zu den 1,5 Millionen Bedürftigen zählten zunehmend auch Flüchtlinge. Butterwegge schlug vor, dass die Konflikte vor Ort entschärft werden könnten, wenn es beispielsweise für alte Leute andere Öffnungszeiten gebe als für Ausländer.
Die Essener Tafel nimmt derzeit nur Bedürftige mit deutschem Pass als neue Kunden auf. Begründet wird dies damit, dass der Anteil der Migranten unter den 6.000 Nutzern der Tafel seit 2015 von rund 35 auf 75 Prozent gestiegen sei. Bundesweit gibt es rund 940 Tafeln, die überschüssige Lebensmittel einsammeln und damit regelmäßig bis zu 1,5 Millionen Menschen versorgen.