Wieder einmal herrscht Ruhe im Land. Die Verhandlungen über die Ablösung der Staatsleistungen für die beiden großen christlichen Kirchen stecken fest. Diesmal sind es die Länder, die nicht weiterverhandeln wollen.
Die beiden Kirchen machen klar, dass sie auf die Vorschläge der Politik warten, im Grunde aber auf einen Riesenbatzen Geld. Seit 105 Jahren, seit der Verabschiedung der Weimarer Verfassung 1919, ist der Artikel 138 Abs.1 dieser Verfassung (als Art 140 in das jetzt 75 Jahre alt gewordene Grundgesetz übernommen) nicht erfüllt worden. Darin heißt es, dass die Staatsleistungen der Länder an die Kirchen abgelöst werden müssen und dass das Reich, später der Bund, dazu Grundsätze erlassen soll.
Worum geht es? Staatsleistungen wurden von den deutschen Fürstentümern und Königreichen als Ausgleich für zum Teil jahrhundertelang zurückliegende Säkularisationen, also die Verstaatlichung von Kirchengut, gezahlt. Die Fürsten hatten den Kirchen Ländereien, Gebäude, Klöster, Einkommensquellen weggenommen und mussten dafür dauerhaft bezahlen, Personalkosten für die Kirchenleitungen beispielsweise.
Schon lange vereinbart
Festgelegt war das alles in Konkordaten und Staatskirchenverträgen. Die Länder erbten später die daraus stammenden Verpflichtungen. Die Weimarer Republik wollte in ihrer Verfassung eine Trennung von Staat und Kirche, konnte aber auf die Schnelle keine Lösungen für diese finanziellen Verpflichtungen finden, kein Einvernehmen mit den Kirchen herstellen. Deshalb wurde die Ablösung dieser Staatsleistungen als Verpflichtung im Art. 138 festgeschrieben.
Inzwischen bekommen die Evangelische Kirche etwas mehr als 350 Millionen, die Katholische Kirche mehr als 250 Millionen Euro im Jahr als Staatsleistungen von 14 Bundesländern überwiesen (in den Freien und Hansestädten Hamburg und Bremen gibt es diese nicht).
Und jedes Jahr werden es um so viel Prozent Geld mehr wie die Beamtengehälter steigen. Insgesamt aber sind diese 600 Millionen Euro im Verhältnis zu den 12 Milliarden Euro, die die beiden Kirchen an Kirchensteuereinnahmen, also per staatlichem Inkasso eingetriebenen Mitgliedsbeiträgen, bekommen, nur weniger als 3 Prozent. Dennoch möchten die Kirchen auf diese Finanzierung durch den Steuerzahler nicht verzichten.
Staatsleistungen als Anachronismus
Dabei sind diese Staatsleistungen anachronistisch, haben mit der heutigen Lebenswirklichkeit nichts mehr zu tun, blenden aus, was alles durch Kriege und gesellschaftliche Umwälzungen an rein historischen Forderungen obsolet geworden ist. Und in der Höhe sind sie gar nicht mehr nachvollziehbar. Der Bischof von Trier zum Beispiel bekommt für jeden seiner saarländischen Katholiken einen Euro im Jahr, für jeden seiner rheinland-pfälzischen aber 23 Euro.
Das Erzbistum Köln bekommt für jeden Katholiken zwei Euro aus der Staatskasse, das Bistum Magdeburg 90 Euro. Eine Ablösung dieser Staatsleistungen ist also nicht nur Verfassungspflicht, sondern auch sinnvoll und notwendig. Sowohl die Evangelische Kirche als auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz haben das erklärt.
Dennoch bewegen sich die Kirchen nicht, warten auf Vorschläge der Politik, beharren auf finanzmathematischen Modellen, sollten die jährlichen Zahlungen durch eine Einmalzahlung abgelöst werden. Anderes wollen sie sich offensichtlich nicht vorstellen. Dabei geht es gegenwärtig ja nur um die Grundsätze einer Ablösung. Und die muss nicht unbedingt in Geld erfolgen.
Denn die Länder können angesichts ihrer Haushaltslage nicht auf einmal viele Milliarden Euro bezahlen, die Kirchen wüssten angesichts der Zinsen und der Inflation nicht, wie sie das Geld anlegen könnten, die Bürger würden das alles nicht verstehen.
Die dramatische Schrumpfung der Zahl der Kirchenmitglieder und die daraus in Zukunft erwachsende Minderung der Einnahmen zeigt den Kirchen eigentlich den Weg von selbst auf: Sie werden in Zukunft die derzeit etwa 40.000 Kirchen und Kapellen in Deutschland nicht erhalten und unterhalten können. Die Baukosten sind heute schon nach den Personalkosten der höchste Ausgabeposten bei den Bistümern und Landeskirchen.
Dass die Kirchen weiter schrumpfen, ist sicher. Alle Prognosen sagen, dass sich in den nächsten 30 Jahren die Zahl der Kirchenmitglieder noch einmal halbieren wird, sich ihr Anteil von knapp 50 Prozent heute auf 25 Prozent verringern wird. Deshalb werden sich auch die Einnahmen halbieren. Grob gesagt kann man davon ausgehen, dass die Kirchen nicht nur ihr angestelltes Personal halbieren müssen, sondern auch nur noch die Hälfte der heutigen Kirchengebäude unterhalten und noch viel weniger pastoral nutzen können.
Kirchen gehören "allen"
Das Thema ist auch bei den nicht kirchlich gebundenen Kulturinstitutionen angekommen. In einem von "Baukultur NRW" formulierten und von vielen Institutionen wie der Deutschen Stiftung Denkmalschutz oder dem Bund Deutscher Architekten getragenen "Kirchenmanifest" wird es so beschrieben:
"Kirchenbauten sind zunächst Räume der christlichen Bekenntnisse und damit Zeugnisse der Geschichte der Menschen mit Gott. Zugleich sind sie kulturelles Erbe aller Menschen. Sie sind Räume der Kunst, des Handwerks und der Musik. Kirchen wirken oft stadt- oder dorfbildprägend und eröffnen damit spannende soziale Erfahrungs- und Chancenräume. In Deutschland gibt es etwa 40.000 Kirchen. Sie werden seit Jahrhunderten von Gläubigen erwirtschaftet, geschaffen und unterhalten. Beinah täglich werden Bauten außer Gebrauch gestellt oder sogar abgerissen. Nach ihrem Selbstverständnis sind die Kirchen Sachwalterinnen dieses Bestands. Doch sie alleine sind heute mit dem Erhalt überfordert. Politik und Gesellschaft lassen sie gewähren oder scheuen, die Verantwortung zu übernehmen. Fallen Kirchenbauten weg, verändern sich Städte und Dörfer jedoch gravierend. Daher brauchen wir eine breite Debatte über eine neue Trägerschaft, um Kirchenbauten als Gemeingüter zu sichern."
Professor Thomas Sternberg, der ehemalige Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Wolfgang Thierse, der ehemalige Bundestagspräsident, Christoph Zöpel, ehemaliger NRW-Minister und Barbara Schock-Werner, ehemalige Dombaumeisterin in Köln gehören zu den Erstunterzeichnern.
Es geht ihnen um den Erhalt der Kirchengebäude in Deutschland, vor allem der denkmalgeschützten, der Stadt- und Dorfbild prägenden Gebäude, die häufig den Mittelpunkt einer Gemeinde darstellen. Und sie stellen fest:
"Kirchenbauten und ihre Ausstattungen gehören nicht allein den kirchlichen Institutionen und Gemeinden. Als ererbte Räume sind sie Gemeingüter, sie gehören allen."
Lösung für Staatsleistungen
Hier kann aus meiner Sicht die "Ablösung der Staatsleistungen" ansetzen. Die Bundesländer sollten nicht mehr Geld in den Haushalt der Kirchen zahlen, sondern sollten den Bauunterhalt für stadtbildprägende, pastoral aber nicht mehr benötigte Kirchengebäude übernehmen, oder sogar das Eigentum. Denn diese Gebäude sind – siehe oben - Gemeingüter, sie gehören allen und können von einer schrumpfenden Kirche nicht mehr unterhalten werden.
Für die Kirche böte das die Chance, sich von langfristig teuren Immobilien (das sind Kirchengebäude auch!) zu trennen, ohne sich dem Vorwurf aussetzen zu müssen, barbarisch denkmalgeschütztes Kulturgut verfallen zu lassen oder für die Öffentlichkeit zu sperren. Auf der anderen Seite muss sie ja auch verhindern, nur um ihrer Verkehrssicherungspflicht für leere, nicht gebrauchte Gebäude nachkommen zu können, zusätzlich Personal entlassen zu müssen.
Und sie käme endlich aus der Schusslinie derer, die die historisch begründeten Zahlungen an Staatsleistungen für die Kirchen harsch und mit immer größerem Verständnis in einer immer kirchenferneren Öffentlichkeit kritisieren. Darüber hinaus wird die große Zahl von zu verwaltenden Kirchengebäuden auch personell eine immer schwierigere Last, sowohl was hauptamtliches Personal als auch ehrenamtliche Kirchenvorstände angeht.
Dass die Übernahme der Verantwortung für Kirchengebäude durch staatliche Behörden funktioniert, zeigen die Beispiele aus Nordrhein-Westfalen und Bayern. Schon jetzt gehören 16 Kirchen dem Land Nordrhein-Westfalen, von der Namen-Jesu-Kirche in Bonn bis zur St. Ulrich Kirche in Paderborn. Für 65 andere Kirchen übernimmt das Land (in Form des Bau- und Liegenschaftsbetriebs NRW) die Baulast, also alle Bau- und Unterhaltskosten, von St. Clemens in Bergisch-Gladbach bis St. Andreas in Düsseldorf. Die Kirchen können aber weiterhin pastoral und liturgisch genutzt werden.
In Bayern sind es 600 Kirchen, die dem Staat gehören oder von ihm unterhalten werden, je zur Hälfte katholische und evangelische, von der Wallfahrtskirche St. Bartholomä im Königsee bis zur Theatinerkirche in Münchens Innenstadt.
Festgefahrene Situation auflösen
Natürlich kann die Übernahme des Unterhalts von Kirchengebäuden als grundgesetzlich vorgeschriebene Ablösung der Staatsleistungen nur ein erster Schritt sein. In NRW stehen dafür 25 Millionen Euro, in Bayern 77 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Voraussichtlich aber muss für weit mehr als 10.000 Kirchen, die nicht mehr pastoral benötigt werden, eine Lösung gefunden werden, die nicht nur Abriss oder Verkauf bedeutet.
Aber die Kirchen könnten mit einem solchen Vorschlag in der festgefahrenen Frage der Ablösung einen ersten Schritt tun, sich selbst aus der Schusslinie bringen und langfristig von Lasten befreien, die sie dauerhaft nicht tragen können.
Über den Autor: Ernst Dohlus ist Journalist und Diplom-Volkswirt. Er arbeitete als Redakteur und Manager für BR, SFB und WDR. Seit 2012 publiziert er zu Organisation und Finanzen der beiden großen Kirchen in Deutschland.