domradio.de: Sind Sie erstaunt darüber, dass laut einer Studie sich die Deutschen mehrheitlich keinen Religionsunterricht mehr wünschen?
Dr. Bernadette Schwarz-Boenneke (Leiterin der Hauptabteilung Schule/Hochschule im Erzbistum Köln): Es erstaunt mich nicht, da dies eine Entwicklung ist, die wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten beobachten konnten. Die größte Gruppe in unserer Gesellschaft lebt keine Religion mehr. Daher sind diese Zahlen für mich nicht überraschend.
Ich finde es wichtig, dass wir da nochmal genau hinhören. Meiner Meinung nach wird der Religionsunterricht, mit dem, was er eigentlich will, über- und unterschätzt.
domradio.de: Wir haben den Auftrag, unsere Kinder nach Werten, die in unsere Gesellschaft wichtig sind, zu erziehen: Solidarität, Friedfertigkeit, Konfliktfähigkeit und Partizipation. Spielt der Religionsunterricht da nicht eine ganz entscheidende Rolle bei?
Schwarz-Boenneke: Für mich ist der Reliunterricht ein Ort, an dem unsere Kinder und Jugendliche ganz viel Wissen über andere Religionen und Werte vermittelt bekommen können. Die Fragestellung hat mich bei der Umfrage mehr schockiert, als die eigentlichen Zahlen. Diese vermittelt das Gefühl, dass der Religionsunterricht keine philosophischen Fragestellungen und andere Religionen in den Blick nehmen würde.
Ich finde, dass der Religionsunterricht als konfessioneller Unterricht gerade einen Beitrag zu denen von Ihnen genannten Werten leisten kann, weil er nicht nur über Religion in einer gleichwertigen Art und Weise redet, sondern weil da Positionen und Überzeugungen wahrgenommen werden. Wir Menschen sind Überzeugungstäter. Für mich leistet der Reliunterricht auch den Beitrag, sich mit der eigenen Überzeugung und Heimat empathisch und rational auseinanderzusetzen.
domradio.de: Wäre das Fach "Ethik" denn eine gute Alternative zum herkömmlichen Religionsunterricht?
Schwarz-Boenneke: Nein, meiner Meinung nach geht es um das "Überzeugungstäter" sein. Ich rede beispielsweise nicht nur übers Schwimmen, sondern ich schwimme. Natürlich muss im Religionsunterricht auch ethisches Wissen vermittelt werden, aber Reliunterricht stellt für mich auch etwas aus einem gewissen Standpunkt heraus vor. Religionslehrer und -lehrerinnen sind Zeugen, für das, was sie glauben. Kinder und Jugendliche haben somit jemanden, mit dem sie sich auseinandersetzten können.
Ich fände es schade, wenn nur noch zwei fremde Standpunkte vermittelt würden. Sozusagen "Die einen denken so und die anderen denken so". Ich wünsche mir, dass ein Relilehrer da eingreift und dann sagt "Ich glaube… und ich glaube das, weil", um damit seinen Standpunkt auch begründen kann.
Religionsunterricht kann somit genau das sein, was wir in der derzeitigen Zeit gesellschaftlich brauchen: Nämlich eine massive Auseinandersetzungen mit den Positionen und Überzeugungen, die wir gerade haben. Das fehlt mir bisher in der Diskussion.
domradio.de: Ist diese Debatte im Angesicht der Integrationsbemühungen und der Diskussion um den Islam von Angst geführt? Soll Kirche sich nicht lieber aus den Schulen raushalten?
Schwarz-Boenneke: Die Studie greift ja auch auf das Beispiel Luxemburg zurück. Luxemburg steht für einen laizistischen Staat und den Rückzug von Religion aus Schule und Politik. Ein anderes Beispiel ist aber Frankreich: da sehen wir, dass der Rückzug von Kirche nicht hilft oder geholfen hat.
Ich stimme Ihnen dahingehend zu, dass die Fragestellung sorgengeleitet ist. Dennoch warne ich davor zu sagen: "Wenn wir Religion weglassen, dann wird es keine Probleme mehr geben." Ganz im Gegenteil.
Unsere Ministerin Löhrmann hat mit allen Religionen zusammen eine Studie herausgegeben. Darin unterstreicht sie deutlich, dass aus politischer Sicht der Religionsunterricht gegen Unkenntnisse und Vorurteile helfen.
Er kann auch Jugendliche dazu bewegen, sich mit Positionen und Traditionen auseinander zusetzen. Thomas De Maizière betonte ebenfalls, dass wir die Relevanz von Religion in Deutschland unterschätzt hätten. Ich verweise bewusst auf die staatlichen Akteure, die eine Position für den Religionsunterricht formulieren, weil sie aus ihrer Perspektive heraus einen Wert in diesem Unterricht für unsere Gesellschaft sehen.
Das Interview führte Tobias Fricke