DOMRADIO.DE: Der Mord an Marcelo Pérez zeigt die eskalierende Gewalt in Mexiko. Was hat Marcelo Pérez getan, dass er ermordet wurde?
Rebekka Konté (Expertin für Mexiko beim bischöflichen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat): Er war Menschenrechtsaktivist und hat sich mit dem größten Engagement für die Rechte besonders der indigenen Bevölkerung im Bundesstaat Chiapas eingesetzt und hat vor allem die Gewalt angeprangert, gerade die Gewalt der organisierten Kriminalität.
Er hat aber auch die Regierungsinstanzen aufgefordert, gegen Straflosigkeit vorzugehen, gegen die Gewalt vorzugehen und mehr für die Menschen in der Region zu tun. Er hat große Friedensprozession veranstaltet, hatte sehr viel Resonanz bekommen, weil er die Leute begleitet hat und hat deswegen auch nationale und internationale Aufmerksamkeit bekommen und dort hat er auch Lobbyarbeit geleistet.
DOMRADIO.DE: Die Kirche hatte versucht, den Mann zu schützen, nachdem er Morddrohungen bekommen hatte. Da wurde er in ein anderes Gebiet versetzt. Gab es auch Schutzbemühungen seitens des Staates?
Konté: Ich weiß, dass es zumindest zeitweise Bemühungen gab. 2021 passierte ein gescheitertes Attentat gegen ihn und daraufhin gab es wohl ein Schutzprogramm. In der aktuellen Situation ist es mir nicht bekannt. Wohl aber ist er seit 2015 in einem Schutzprogramm der Interamerikanischen Menschenrechtskommission gewesen und all das hat aber leider die Ermordung nicht verhindern können.
DOMRADIO.DE: Was für eine Motivation gibt es und für wen, diesen Priester zu töten?
Konté: Dadurch, dass er sich so klar positioniert hat und Licht auf Dinge geworfen hat - teilweise unvorstellbare Gewaltsituation und Menschenrechtsverbrechen - ist er ein Dorn im Auge für kriminelle Organisationen geworden. Teils gibt es da große Verflechtungen mit staatlichen Stellen, die korrumpiert worden sind, teils von großen Konzernen, die im Land sind und teils auch Menschenrechtsverbrechen begehen oder zumindest Umweltschäden und Ähnliches verursachen. Da gibt es leider eine unheilige Allianz.
Diese Kreise hätten ein großes Interesse daran - wie das leider immer wieder passiert, gerade in Lateinamerika - dass eben Menschenrechtsaktivisten, Umweltaktivisten, Rechtsaktivisten und diejenigen, die sich für Frieden, Gerechtigkeit, Aufklärung, Menschenrechte einsetzen, ich drücke es zynisch aus, aus dem Weg geräumt werden.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie uns in dieses Land, in den Bundesstaat Chiapas mitnehmen: Was sind das für Kartelle und wer kämpft da gegen wen?
Konté: In der Region sind zwei große Kartelle präsent, die Drogen-, Waffen- und Menschenhandel tätigen, sich an Erpressungen und Entführungen bereichern. Das ist zum einen Cártel de Jalisco Nueva Generación und das Kartell Sinaloa.
Der Kampf geht um eine Vorherrschaft in diesem Gebiet, was strategisch sehr wichtig ist, weil das zum einen, im Süden des Landes an der Grenze zu Guatemala liegt und damit eigentlich ein Durchgangsweg der Migranten in den Norden ist. Zum anderen, weil es durch die bergige Region viele Rückzugsmöglichkeiten gibt, die gut für kriminelle Aktivitäten sind und in der historisch eine Abwesenheit des Staates vorliegt. Der Staat lässt die Menschen da allein und erlaubt, dass sich diese Machtstrukturen dort so gut erhalten und festigen konnten.
DOMRADIO.DE: Adveniat fördert verstärkt Projekte zur Stärkung von Menschenrechts- und Friedensarbeit sowie zur Konfliktbewältigung. Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, wie Ihre Arbeit funktioniert? Ich vermute nicht, dass Sie mit zwei Drogenbossen am Tisch sitzen.
Konté: Genau richtig. Wir fördern unsere Partner vor Ort, die im Kampf für Frieden und Gerechtigkeit tätig sind. Unsere Partner leisten zum Beispiel rechtliche Beratung, teils auch von ganzen Gemeinden. Sie kontaktieren die staatlichen Stellen und prangern an, beziehungsweise fordern auf, aktiv gegen Straflosigkeit zu werden.
Als Friedensarbeit und Menschenrechtsarbeit würde ich ebenfalls betrachten, was unsere Partner tun, um in der Gesellschaft neue Perspektiven aufzuzeigen und diese mit den Menschen zu entwickeln, beispielsweise im Bereich Bildung oder Zugang zu Gesundheit. Es ist eine sehr arme Region. In diesem gewaltsamen Kontext ist das alles Teil einer Menschenrechts- und Friedensarbeit, die vielleicht klein aussehen kann, aber die im Endeffekt ganz viel für die Menschen bewirkt.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet für Sie und Ihre Arbeit mit Adveniat die Ermordung des Priesters Marcelo Pérez?
Konté: Für uns ist das nochmal ein Alarmzeichen, wie die Situation in Mexiko aktuell ist, gerade in Chiapas, im Bezug auf die Menschenrechtsarbeit. Es ist sehr traurig für uns, dass so jemand, der eine Symbolfigur für Gerechtigkeit und Frieden ist, ermordet worden ist. Gleichzeitig wollen wir weiterhin arbeiten, an der Seite unsere Partner stehen und die Kirche vor Ort in diesem Engagement unterstützen. Das werden wir weiterhin tun. Wir sind froh, dass es internationale Allianzen gibt.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.