DOMRADIO.DE: Sie waren gerade in Mexiko, um sich die Folgen des Erdbebens vor allem bei den Adveniat-Projektpartnern anzuschauen. Wie ergeht es den Menschen dort heute? Wie sichtbar und spürbar sind die Schäden da heute noch?
Reiner Wilhelm (Mexiko-Referent bei Adveniat): Nach wie vor sind sie sehr sichtbar. Man sieht viele zerstörte Häuser und Trümmer, zahlreiche Menschen leben immer noch in Notunterkünften, vor allem im Süden, wo das Epizentrum des ersten großen Bebens lag. Die Kleinstadt Juchitán beispielsweise ist vollkommen zerstört. Dort, im Bundesstaat Oaxaca, bebt die Erde bis heute nach. Man sieht aber auch, wie die Menschen zusammengerückt sind und sich jetzt gemeinsam um den Wiederaufbau kümmern.
DOMRADIO.DE: Viele Menschen haben alles verloren, was sie besaßen. Gab es Entschädigungszahlungen oder Wiederaufbauhilfen vom Staat?
Wilhelm: Ja, die gab es. Aber das Problem ist, dass im nächsten Jahr in Mexiko Wahlen sind und sie jetzt auch zu einem politischen Thema werden. Jeder, der sein Haus verloren hat, hat umgerechnet etwa 6.000 Euro bekommen. Die durften aber nur in ganz bestimmten Geschäften ausgegeben werden und auch nur ein Teil wurde tatsächlich in monetärer Hilfe ausgezahlt. Das bedeutet, die Preise für Baumaterialien sind enorm gestiegen und man versucht natürlich auch über diese Zahlungen, Stimmen zu sammeln. Das machen aber alle Parteien gleichermaßen.
DOMRADIO.DE: Selbst die Regierung hat zugegeben, dass der Wiederaufbau nicht optimal verlaufe. Woran liegt das?
Wilhelm: Es ist eine Folge der massiven Korruption. In der Regel haben die Gouverneure, die für bestimmte Regionen zuständig sind, Gelder für Katastrophenhilfe zur Verfügung. Das wurde zum Teil nicht ganz ausgeschöpft und kam auch nicht immer bei den Bedürftigen an. Vielfach ist auch die Hilfe nicht angekommen, weil manche Regionen bis heute kaum zugänglich sind. Ich bin beispielsweise in den Ort Mixe im Bundesstaat Oaxaca gereist, eine Bergregion, in der sehr viel kaputt gegangen ist, erst durch das Erdbeben und dann durch die Niederschläge. Dort sind Straßen teilweise bis heute nicht befahrbar. Ich musste mehrere Stunden zu Fuß gehen, um die Menschen dort zu erreichen.
DOMRADIO.DE: Bei dem Beben sind auch viele Kirchen und kirchliche Gebäude eingestürzt. Wie sehr wird die kirchliche Arbeit eingeschränkt?
Wilhelm: Sehr, weil viele Kirchen auch baufällig und nicht mehr benutzbar sind. Viele Priester haben ihre Unterkunft verloren, Gemeindezentren sind kaputt gegangen, Messen müssen auf den Straßen stattfinden. Trotzdem hält man zusammen, denn die Kirchen bedeuten für die Menschen auch ein Stück Identität und Gemeinschaft. Deswegen ist es für sie auch wichtig – und das haben mir alle gesagt -, dass neben ihren Häusern auch die Kirchen wieder aufgebaut werden.
DOMRADIO.DE: Adveniat unterstützt zahlreiche Projekte in Mexiko. Inwiefern ist das auch ein Rückschlag für die Arbeit ihrer Partner vor Ort?
Wilhelm: Natürlich ist es schwieriger geworden, andererseits merkt man aber auch, dass die Menschen Hoffnung haben und dass es einen Aufbruch gibt: Man hat zwar alles verloren, aber man sieht, dass es den anderen genauso geht. Die Menschen stehen zusammen und jeder packt an, wo es geht. Viele haben gespendet, die Caritas hat Nahrungsmittel und Kleidung zur Verfügung gestellt. Die Solidarität untereinander war enorm und das ist das, was Mut macht. Man merkt wirklich: Das Erdbeben hat die Menschen zusammen gebracht. Alle, die konnten, haben etwas abgegeben.
Das Interview führte Uta Vorbrodt