Rote Absperrbänder mit der Aufschrift "Peligro" – "Gefahr" sind quer durch den Altarraum gespannt. In dessen Mitte sind die Kirchenbänke provisorisch übereinander gestapelt und mit einer verstaubten Plastikplane abgedeckt. Immer wieder fallen krachend Teile der Innenfassade zu Boden. Padre Gonzalo Iturarte führt durch die Kathedrale von San Cristóbal de las Casas, einer Stadt im Süden Mexikos. Er deutet nach oben, dahin, wo einst die Orgelempore war: "Dort stand eine alte Holzorgel. Sie war zwar nicht mehr in Gebrauch, aber sie war aus dem 16. Jahrhundert." Das historische Instrument wurde unter den Trümmern vollkommen begraben. Darüber im Dachstuhl klafft ein metergroßes Loch, Holzbalken ragen wie abgebrochene Streichhölzer heraus.
Das schwere Erdbeben vor drei Monaten hat dem massiven Bau aus der Kolonialzeit erheblich zugesetzt. Zahlreiche Säulen und Rundbögen müssen nun gestützt werden, weil sie einsturzgefährdet sind. Auch der Glockenturm und das Archiv mit zahlreichen historischen Dokumenten mussten gesperrt werden. Es sei ein Drama für die Diözese, so der Padre, "aber Gott sei Dank kamen bei dem Erdbeben nicht so viele Menschen um. In anderen Bundesstaaten war das viel schlimmer."
Spenden bleiben aus
Aber für die Kirchen ist es ein Problem, dass so viele Gebäude jetzt geschlossen bleiben: Gottesdienste müssen im Freien stattfinden oder wurden auf andere Kirchen, Kapellen und Gemeinderäume ausgelagert. "Hier sind die Gottesdienste immer voll, das müssen wir jetzt anders organisieren", sagt Iturarte. Das betreffe auch viele Bildungs- oder Sozialprojekte, für die nun Räumlichkeiten fehlten. "Und natürlich gehen unsere Einnahmen dramatisch zurück, denn jetzt bleibt die Kollekte aus und wir bekommen kein Geld mehr, beispielsweise für Taufen oder Hochzeiten." Anders als in Deutschland gibt es in Mexiko keine Kirchensteuer. Die Kirche lebt allein von Spenden und die seien seit dem Beben bereits um 40 Prozent gesunken, so der Padre.
So, wie der Gemeinde in San Cristóbal de las Casas, ergeht es vielen im Land. Mehrfach bebte in diesem Herbst die Erde in Mexiko, die verheerendsten Folgen hatte das Beben am 19. September 2017 nahe der Hauptstadt. Über 360 Menschen kamen dabei ums Leben, zahlreiche Gebäude stürzten ein oder wurden schwer beschädigt. Darunter auch über 1.600 Kathedralen, Klöster, Kapellen, Seminare, Gemeinderäume und Bildungseinrichtungen - das haben jüngste Erhebungen der mexikanischen Bischofskonferenz (CEM) ergeben.
Weltkulturerbe zerstört
Das sei ein unbezifferbarer Schaden, so der Generalsekretär der mexikanischen Bischofskonferenz, Monsignore Alfonso Miranda Guardiola: In Mexiko-Stadt und in Puebla wurden mehrere Klöster und Tempel zerstört, die auf der Liste des Unesco-Weltkulturerbes stehen. Historische Klöster aus dem 16. Jahrhundert zum Beispiel und Jahrhunderte alte Archive. "Das ist wirklich ein schwerer Schlag für uns", sagt er "und wir werden noch lange mit dem Wiederaufbau beschäftigt sein."
Dafür zuständig ist das Nationale Institut für Anthropologie und Geschichte (INAH), denn Kirchengebäude in Mexiko sind Staatseigentum. Doch dass das schnell gehen wird, damit rechnet derzeit kaum jemand. Erste Kritik wird laut, dass die Hilfe für die Erdbebenopfer zu schwerfällig und zu ineffizient sei. Vor allem die südlichen Bundesstaaten drohten, vergessen zu werden, sagt Padre Rogelio Narváez Martínez, Chef der Sozialpastoral – Caritas in Mexiko: "Die Menschen in den Bundesstaaten Oaxaca und Chiapas haben ihre Existenzgrundlagen verloren: Mühlen wurden zerstört, Fischerboote, Öfen, Wasserspeicher, alles, was die Menschen zum täglichen Leben brauchen." Oaxaca und Chiapas zählen zu den ärmsten Bundesstaaten Mexikos, daher waren die Auswirkungen des Bebens dort so groß. "Wir als Caritas wollen diese Menschen nun wieder in Arbeit bringen", verspricht er.
Große Solidarität
Nach dem Beben war die internationale Unterstützung groß: Die mexikanische Kirche erhielt Hilfe, beispielsweise von der spanischen und der polnischen Bischofskonferenz, aber auch von US-Diözesen, vom Papst und dem deutschen Lateinamerikahilfswerk Adveniat, das 20.000 Euro als Soforthilfe zur Verfügung stellte.
Auch in Mexiko war die Solidarität groß: Zehntausende Menschen halfen in den Tagen und Wochen nach dem Beben, räumten Trümmer weg, boten ihre Wohnungen als Notunterkünfte an und organisierten über soziale Netzwerke unkompliziert und schnell Hilfe dort, wo sie nötig war. Das macht Monsignore Alfonso Miranda von der Bischofskonferenz auch stolz: "Der Zusammenhalt angesichts dieser Tragödie war wirklich beeindruckend", sagt er und fügt hinzu: "Aber wir Mexikaner müssen weiterhin zusammenhalten und uns anstrengen. Noch eine lange Zeit."