Antisemitismus ist einem Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zufolge in sämtlichen extremistischen Bereichen in Deutschland verbreitet. Judenfeindschaft sei unter Rechtsextremisten, bei "Reichsbürgern und Selbstverwaltern", im Islamismus und Ausländerextremismus wie im Linksextremismus in den unterschiedlichsten Formen präsent, heißt es im "Lagebild Antisemitismus" des Bundesamtes, das am Montag in Köln veröffentlicht wurde.
Antisemitisches Gedankengut sei in den einzelnen Extremismusbereichen in unterschiedlichem Ausmaß und unterschiedlichen Erscheinungsformen virulent. "Antisemitismus ist schon immer eine erstaunliche Gemeinsamkeit von verschiedenen Demokratiefeinden gewesen. Das moralisch Unsagbare ist sagbar geworden", sagte BfV-Präsident Thomas Haldenwang.
"Lagebild Antisemitismus"
Es sei erschreckend, dass sich die antisemitischen Gewalttaten zwischen 2017 und 2019 verdoppelt hätten. Über 2.000 politisch motivierte Straftaten sind 2019 gegen Juden sowie gegen jüdische Einrichtungen in Deutschland verübt worden. "Alle sind gefordert, Antisemitismus entschieden entgegenzutreten: Sicherheitsbehörden und Gesamtgesellschaft", so Haldenwang.
Insgesamt stellt laut Bericht der Israel-feindliche antizionistische Antisemitismus die aktuell bedeutendste Form der Judenfeindschaft dar. Er finde sich in allen Extremismusformen und sei somit eine potenzielle Brücke zwischen ihnen. Insbesondere das Internet sei ein wesentlicher Dynamisierungsfaktor für die Verbreitung antisemitischer Hetze. Das "Lagebild Antisemitismus" des BfV gibt auf rund 100 Seiten einen Überblick darüber, wie sich der Antisemitismus in seinen verfassungsschutzrelevanten Ausprägungen aktuell in der Bundesrepublik darstellt.
"Die hässliche Fratze antisemitischer Denkmuster"
Der Antisemitismusbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Ludwig Spaenle, forderte ein entschiedenes Vorgehen: Notwendig sei ein Maßnahmenbündel, das von Repression gegen Straftäter über Prävention und Bildung bis hin zur Solidarität für Juden reiche. Der Antisemitismus dringe weiter in die gesellschaftliche Mitte vor, kritisierte Spaenle. "Und dem müssen wir Einhalt gebieten."
Der religionspolitische Sprecher und Antisemitismusbeauftragte der FDP-Bundestagsfraktion, Benjamin Strasser, erklärte, der Bericht des Verfassungsschutzes müsse ein Weckruf sein. "Die hässliche Fratze antisemitischer Denkmuster ist noch immer in den Köpfen zu vieler Menschen verbreitet." Gleichzeitig werde ein Großteil antisemitischer Vorfälle von den Betroffenen nicht einmal angezeigt, weil solche Straftaten zu oft nicht konsequent verfolgt würden. "Wir brauchen deshalb endlich in allen Bundesländern Beratungs- und Meldestellen für antisemitische Vorfälle und vor allem eine bessere Aus- und Weiterbildung für die Beamten von Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten. Muster und Codes des Antisemitismus müssen eindeutig als Judenfeindlichkeit erkannt und verfolgt werden."